Rezension: »Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle« von Stuart Turton

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle

Titel der Originalausgabe: The Seven Deaths of Evelyn Hardcastle / The 7½ Deaths of Evelyn Hardcastle
Übersetzung von: Dorothee Merkel
Verlag der dtsch. Ausgabe: Heyne
Verlag des Originals: Bloomsbury Publishing

Und täglich grüßt der Pestdoktor

»Zeit vergeht. Ich kann unmöglich sagen, wie viel. Es ist nicht diese Art von Zeit.«

Handlung

Familie Hardcastle lädt zum Ball auf ihr heruntergekommenes Anwesen Blackheath, pünktlich zum makabren Jubiläum eines alten Mordfalls. Einer der Gäste wacht unweit des Herrenhauses im Moor auf, ohne jegliche Erinnerung, doch mitten im Schrei. »Anna!« Wer ist Anna? Wer ist er? Er findet sich als Spielfigur einer unfassbaren Mordermittlung wieder, die durch Zeit und Raum springt – und es geht um einen zweiten Mord, der noch gar nicht verübt wurde!

Ein als mittelalterlicher Pestdoktor verkleideter Mann teilt ihm mit, er werde acht Mal im Körper eines anderen Gastes erwachen, um deren verschiedene Stärken und Schwächen zu nutzen. Erst wenn er den Fall gelöst habe, werde Blackheath ihn gehen lassen. Und tatsächlich stirbt Evelyn Hardcastle immer wieder und wieder …

»Die Zukunft ist keine Warnung, mein Freund, sie ist ein Versprechen – eines, das wir nicht brechen werden. Genau das ist das Wesen der Falle, in der wir geraten sind.«

Originalität & Einfallsreichtum

Dieser wahrhaft beeindruckende Debütroman ist wie vulkanisches 3D-Schach. Stuart Turton erweitert etwas, das ohnehin schon komplex und fordernd ist – eine Mordermittlung – um weitere Dimensionen, indem er den Protagonisten den gleichen Tag immer wieder erleben lässt, aber jedes Mal aus einer anderen Perspektive. Das Ergebnis ist eine wunderbar verschachtelte, zutiefst originelle Geschichte, die sicher auch erfahrene Krimileser:innen herausfordert. Mir machte es sehr viel Spaß, den verschiedenen Hinweisen zu folgen und den Fall nach und nach zusammenzusetzen!

Spannung

Auch die Spannung ist mehrdimensional: Zum Ersten ist da natürlich die Frage, wer Evelyn getötet hat und warum. Zum Zweiten versucht unser Progatonist verzweifelt, seine eigene Identität wieder zusammenzusetzen – und verliert sich doch mehr und mehr in den Persönlichkeiten seiner Wirte. Zum Dritten muss er feststellen, dass er nicht die einzige Spielfigur ist, und wie beim Schach hat jede Figur andere Zugmöglichkeiten. Eine davon scheint fest entschlossen, die Konkurrenz mit gewetzten Messern aus dem Weg zu räumen …

Und nicht zuletzt musste ich am Schluss entzückt feststellen, dass ich das Buch die ganze Zeit ins falsche Genre eingeordent hatte. Ach, wunderbar. Ich werde gerne von Romanen überrascht.

Logik & Schlüssigkeit

Jede Wendung zieht wieder eine Vielzahl von Informationen und neuen Blickwinkeln nach sich, so dass sich die Komplexität stetig erhöht. Es ist ein echtes Kunststück, eine dermaßen fraktale Geschichte so aufzuziehen, dass sie in sich schlüssig, kohärent und glaubhaft wirkt. Doch Turton gelingt das meines Erachtens mit Bravur.

Charaktere

Es ist schwierig, einen Charakter vom nächsten abzugrenzen. Der Protagonist übernimmt stets ein Stück weit das Können, das Wissen, die Erinnerungen und die Intelligenz seiner Wirte – aber auch deren unangenehme Eigenschaften. Feigheit. Jähzorn. Übergriffige Lüsternheit. Selbstsucht. Aggression. Er muss ankämpfen gegen diese Impulse, die ihm die Entscheidungsfreiheit nehmen wollen, und das ist manchmal eine erbitterte innere Schlacht.

Deswegen gibt es jeden Charakter eigentlich in verschiedenen ‘Ausprägungen’, aber gerade das macht sie so interessant. Der Protagonist beginnt als Mann ohne Eigenschaften, entdeckt sich im Laufe der Handlung jedoch selbst und mausert sich zum echten Sympathieträger.

Schreibstil

Der Schreibstil überzeugt mit dem düsteren Ambiente eines viktorianischen Schauerromans. Turton erweckt jede Szenerie mit atmosphärischen Bildern und stimmigen Details zum Leben und beweist dabei ein feines Gespür für Takt und Tempo.

Fazit

Lieblingsbuch

Das Setting, ein altehrwürdiges Herrenhaus, gibt der Geschichte den Rahmen eines düsteren Kammerspiels. Im Grunde legt Stuart Turton hier auch einen geradezu klassischen Kriminalroman vor – doch einen, der Genregrenzen überschreitet und dadurch eine ungeahnte Komplexität gewinnt. Falsche Fährten, Intrigen, Mordkomplotte, Rachedurst, alles wird aus mehreren Blickwinkeln durchleuchtet und immer wieder hinterfragt.

Für mich war »Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle« ein echtes Highlight und als Debütroman unglaublich beeindruckend. Das zweite Buch des Autors wartet hier schon.

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