Rezension: »Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« von Yade Yasemin Önder

Rezension: »Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« von Yade Yasemin Önder

Schau, schau und hinterfrag

In ihrem Debütroman »Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« erzählt Yade Yasemin Önder die Geschichte einer jungen Frau mit multikulturellem Hintergrund, die in der westdeutschen Provinz aufwächst. Nach dem frühen Tod ihres türkischen Vaters kämpft sie mit der problematischen Beziehung zur deutschen Mutter und ihrer eigenen Essstörung. Im Laufe des Romans wird die Protagonistin immer wieder mit schwierigen Situationen konfrontiert, zerbricht ein Stück weit daran und muss lernen, sich neu zu formen und zu finden. Der Geist ihres Vaters begleitet sie dabei – mal tröstlich, mal schauderhaft wie ein Wiedergänger –, während sie sich durch Erinnerungen an Sommer in Istanbul, Familienbesuche und Verluste kämpft. Önders Roman behandelt Themen wie Identität, Herkunft und körperliche Selbstbestimmung, und er erweckt durch seine kühne Erzählweise das Leben und die Emotionen der Ich-Erzählerin zum Leben.

Zugegeben:

Ich tat mich erst schwer mit diesem Roman, der Leser:innen direkt in einen wahren Wirbelsturm von Bildfragmenten und Sprachexperimenten wirft. Ohne Netz und doppelten Boden – und ohne nennenswerten roten Faden! Die Erzählerin widerspricht sich, zerpflückt Erinnerungen und Gegebenheiten und setzt sie immer wieder neu zusammen. Wie ist zum Beispiel der Vater gestorben? Hatte er einen grauenhaften Unfall mit der Kettensäge, ist er ertrunken?

Doch irgendwann …

… entfaltete der Roman eine ungeheure Sogwirkung, und ich gewann ein Gespür dafür, dass die Wiederholungen der verschiedenen Schlüsselelemente durchaus einen Sinn ergeben. Sie kamen mir letztlich vor wie Kamerafilter, die verschiedene Aspekte der Wahrheit klarer herausstellen, indem sie Lesende zwingen, ihre Wahrnehmung und Interpretation der Handlung zu hinterfragen.

Wie der Klappentext schon verrät, ist das Buch ein furioser Zyklus von Verlieren und Wiederfinden, Zerfallen und Wiederzusammensetzen, und die Erzählerin manifestiert das in Bulimie, One-Night-Stands und einer toxischen Beziehung zur Mutter – und zu sich selbst.

Die Sprache ist …

… zutiefst originell und intensiv, findet ungewöhnliche Bilder, springt durch Zeit und Raum und driftet oft ab ins Absurde. Das ist wahnsinnig virtuos und das Lesen macht Spaß, auch wenn die Geschichte durchaus schwierige, herausfordernden Themen anspricht. In einem Moment ist eine Szene noch vollkommen realistisch, im nächsten gleitet sie ab ins humoristisch Surreale. Da kann dir schon mal der Kopf schwirren, und manchmal war mir das auch einfach zu viel.

Fazit

Gern gelesen

Doch wenn ich jetzt zurückblicke auf den Roman, dann weiß ich das Spiel mit Sprache und persönlichen Assoziationen sehr zu schätzen. Habe ich alles verstanden? Himmel, nein, aber das ist meines Erachtens auch nicht das Ziel. Die Erzählerin ist sicher nicht ohne Grund so unzuverlässig, wie eine Erzählerin nur sein kann; sie wirft die Leser:innen zurück auf ihre eigenen Ansichten.

Schau, schau und hinterfrag. Und darin ist der Roman grandios.

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