#Rezension Dolores Redondo: The North Face of the Heart

Buchcover Dolores Redondo The North Face of the Heart

Titel der dtsch. Übersetzung: Todesspiel – Die Nordseite des Herzen
Titel des span. Originals: La cara norte del corazón
Übersetzung von: Anja Rüdiger
Verlag der dtsch. Ausgabe: btb
Verlag der engl. Ausgabe: Amazon Crossing
Verlag des Originals: Planeta/Destino

Handlung

Wenn die Natur tobt und die Menschen am schutzlosesten sind, schlägt er erbarmungslos zu: Er bringt ihnen den Tod. Er ist als »der Komponist« bekannt. Er inszeniert seine Taten beinahe liturgisch und richtet die Leichen stets nach Norden aus, daneben drapiert er eine Geige.

Am verheißungsvollen Vorabend des schlimmsten Hurrikans der Geschichte von New Orleans befindet sich die junge Kommissarin Amaia Salazar mit ihrem Ermittlungsteam in der Stadt, um dem Komponisten endlich auf die Spur zu kommen. Doch dann erreicht sie ein Anruf aus Spanien, der sie mit den Geistern ihrer Kindheit und tiefsitzenden Ängsten konfrontiert. Die Situation spitzt sich zu: Der Wind steigt auf, die Straßen leeren sich, Häuser werden verbarrikadiert. Kommt die junge Ermittlerin dem gnadenlosen Mörder rechtzeitig auf die Spur?

(Klappentext der dtsch. Ausgabe)

Übersetzung / Schreibstil

Die Originalausgabe des Thrillers ist spanisch, und da ich diese Sprache nicht spreche, musste ich natürlich zu einer Übersetzung greifen. Dank der Onleihe konnte ich zunächst ein paar Kapitel der deutschen und der englischen Fassung anlesen, um mich dann für die zu entscheiden, die mir mehr zusagte. Natürlich verglich ich dafür ein paar Passagen eins zu eins miteinander und war erstaunt: Der Schreibstil der deutschen Übersetzung erschien mir flach und uninspiriert, geradezu platt. In meiner Stichprobe wurde außerdem deutlich, dass die deutsche Übersetzung Wörter und halbe Sätze einfach unterschlägt – sehr kurios.

Die englische Fassung wirkte ganz anders auf mich, sehr intelligent geschrieben, mit ungemein dichter Atmosphäre. Wie die Autorin den Sturm, die Flut, die Stadt im Griff der Katastrophe zum Leben erweckt, das ist herausragend gelungen. Das ist nicht weniger tragisch als die eigentlichen Morde, und da tun sich menschliche Abgründe auf, die kein bisschen weniger tief sind.

Die Charaktere

Die Charaktere fand ich fast alle sehr gut geschrieben: komplex und glaubwürdig, mit stimmigen Hintergrundgeschichten. Vor allem die junge Kommissarin Amaia Salazar und Special Agent Dupree konnten mich schnell von sich überzeugen; dies ist die Art von Personalaufstellung, die ein Thriller meines Erachtens braucht. Vom Typ her liest sich Amaia in der englischen Fassung ein bisschen wie Clarice Starling in »Das Schweigen der Lämmer« – überhaupt fühlte ich mich manchmal an den Stil von Thomas Harris erinnert.

Was die Meinungen spalten dürfte:

Im Zentrum der Geschichte stehen nicht nur wissenschaftlich erklärbare Phänomene wie die Naturkatastrophe und die offensichtliche Geisteskrankheit diverser Charaktere. Es gibt auch eine spirituelle Ebene, die Phänomene und Wesen aus der Mythologie aufgreift. Mord und Voodoo? Gut gefiel mir, dass sich bis für einen Großteil des Buches jedes Ereignis so oder so betrachten lässt: wissenschaftlich oder mythologisch, je nach Veranlagung und persönlichem Geschmack der Leser:innen. Das wird aus meiner Sicht allerdings gegen Ende zunichte gemacht, als Dinge passieren, die schlichtweg nicht mehr logisch erklärbar scheinen. Sehr schade. Das kann man mögen oder auch nicht, aber zumindest verleiht es dem Thriller ein sehr ungewöhnliches, originelles Flair.

Spannungsbogen

Vom Mythologischen mal abgesehen ist das Buch ein solide konstruierter Thriller mit einem vielschichtigen Fall, der sehr schlüssig in die Extremsituation nach Hurrikan Katrina eingebunden ist. Gelangweilt habe ich mich nie, auch wenn ich ein paar Mal ob der vermeintlich übernatürlichen Elemente in heftiges Stirnrunzeln verfiel.

Das Ende kam indes für meinen Geschmack zu übereilt, mit dem schalen Beigeschmack, das Potential der Geschichte nicht vollends ausgereizt zu haben.

Zusammenfassung und Fazit

Gern gelesen

Ein Serienmörder verrichtet sein fatales Werk stets dann, wenn die Natur gnadenlos zuschlägt – so auch während Hurrikan Katrina. Das Ermittlerteam muss sich daher durch eine Szenerie bewegen, die einer Dystopie entnommen scheint: heulender Sturm, überflutete Straßen, verbarrikadierte Häuser … Die üblichen Verfahren lassen sich nicht mehr anwenden und die Zeit drängt, denn es wird weitere Opfer geben. Und die Menschen, denen die Kriminaler begegnen, raunen von Zombies und Geistern.

Die Originalausgabe ist spanisch; die deutsche Übersetzung konnte mich nach kurzem Anlesen nicht überzeugen, sodass ich das Buch letztlich in der englischen Fassung las. In dieser beeindruckte mich vor allem der ungemein dichte, atmosphärische Schreibstil. Die Charaktere sind ebenfalls sehr gelungen; sie werden authentisch und glaubhaft beschrieben, vor allem die junge Ermittlerin Amaia, die sich in einer Extremsituation in einem neuen Team beweisen muss.

Der Thriller ist definitiv spannend und würzt diese Spannung mit einem gewissen Zwiespalt zwischen Logik und Mystik, den ich anfangs großartig fand, weil eine rationale Erklärung dennoch immer möglich blieb. Gegen Ende entfernte sich die Geschichte indes mehr und mehr von dieser rationalen Basis, und die Abhandlung des Falls erschien mir übereilt. Dennoch: Ich habe das Buch gerne gelesen, es hat mich gut unterhalten.

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