#Rezension Max Landorff: Die Siedlung der Toten

Max Landorff: Die Siedlung der Toten

© Cover ‘Max Landorff Die Siedlung der Toten’: Fischer Scherz
© Bild Smartphone: Pixabay

Handlung

Mit einem Kopfschuss hingerichtet sitzt die Frau in ihrem Rollstuhl, aufrecht wie eine Mumie in ihrem Chanel-Kostüm – die letzte Bewohnerin der Siedlung. Idyllisch war es hier einst in den Bungalows an der Isar. Bis man die Leichen fand: 18 Tote, im Kreis angeordnet um eine Feuerstelle. Alle waren sie Bewohner der ersten Stunde. Welches Grauen verbirgt sich bis heute in der Siedlung?
(Klappentext)

Meine Meinung

Die Siedlung wurde einst mit hehren Zielen erbaut: ein reges Miteinander sollte die großzügige Architektur ermöglichen, ein gemeinschaftliches Leben ohne Zäune oder andere ausgrenzende Strukturen.

Harmonie, Toleranz, Nachbarschaft? Gutbürgerlich-beschaulich wirkt die Siedlung schnell nur noch nach außen.

Die besten Absichten kommen nicht an gegen die Tendenz des Menschen, die Welt einzuteilen in ‘wir’ und ‘die da’, gegen die man sich behaupten muss, um auch ja kein Stückchen abgeben zu müssen von dem, was ‘uns’ gehört. Landorff zeichnet mit subtilen Nuancen das Bild einer Dreiklassengesellschaft auf kleinstem Raum, in der sich jeder nur zu bewusst ist, wo er steht in der sozialen Hackordnung. Und das fand ich in sich schon erstaunlich faszinierend und spannend.

Vorteile, gegenseitiges Misstrauen und Doppelmoral vom Allerfeinsten regieren das Leben – bis das mit einem Massenmord jäh zum Erliegen kommt.

Ich bin gänzlich ohne Erwartungen an das Buch herangegangen, aber ich war mir nach wenigen Seiten bereits sicher, dass ich es lieben würde. Denn der Schreibstil ist ein Gedicht: klar und ausdrucksstark, abseits inhaltsleerer Phrasen oder klischeebehafteter Bilder. Selbst wenn die Sätze manchmal kurz und schlicht sind, erzeugen sie eine dichte Atmosphäre.

“Ich trage diesem Ort in mir, aber nicht so wie andere Menschen ihre Heimat in sich tragen, wie eine Flüssigkeit, die sich ins Blut gemischt hat und plötzlich warm werden kann – beim Anblick eines Handrasenmähers zum Beispiel oder beim Duft der Nadeln einer Latschenkiefer. Ich wünschte, es wäre so, und ich denke oft daran, dass die Siedlung so ein Gefühl hätte sein können. Wenn nicht… Ja, wenn nicht…

(…) Das Zeug zu einer großartigen Heimat hätte sie gehabt, diese Siedlung. Der wilde Fluss, der wilde Wald, die sorglosen Eltern, die sagten: Komm nach Hause, wenn es dunkel wird.”

Aber auch abgesehen vom Schreibstil konnte mich das Buch vollends überzeugen:

Die Handlung ist vielschichtig und geschickt konstruiert, mit immer neuen Motiven und überraschenden Wendungen. Dazu kommt noch, dass die Geschehnisse auf mehreren Zeitebenen erzählt werden, wodurch sich der Sinn des Ganzen nur allmählich erschließt. An mehreren Stellen glaubte ich, die Lösung zu kennen, aber stets passierte wieder etwas, das alles auf den Kopf stellte.

Landorff spielt mit den Erwartungen des Lesers und reizt das bis zum Äußersten aus – bis an und über die Grenzen des Glaubwürdigen.  Tatsächlich ist die Auflösung am Ende dann ein Geniestreich: wahnsinnig komplex, unerwartet und dennoch in sich schlüssig.

Kommissarin Eva Schnee pflegt ein paar der  in der Kriminalliteratur so typischen Ermittler-Probleme, wie eine zerrüttete Ehe oder einen Hang zum Alkohol. Trotzdem fällt sie für mich nicht unter das leidige Klischee, denn sie ist ansonsten eine interessante Protagonistin mit einer ungewöhnlichen Hintergrundgeschichte. (Ich hoffe auf einen Folgeband, in dem man mehr darüber erfährt.) Allerdings fallen ihr manche Dinge etwas zu leicht zu, wenn man bedenkt, dass sich ihr Vorgänger an diesem Fall 20 Jahre lang die Zähne ausgebissen hat!

Dem Leser begegnet eine Vielzahl von Charakteren mit einer Vielzahl von Geheimnissen, die zum Teil ein sehr bedrückendes Bild des Lebens in dieser Siedlung vor dem Massenmord zeichnen.

Sehr präsent ist ein über lange Strecken des Buches nicht namentlich benannter Mann, der mit eindringlichen Tagebucheinträgen zu Wort kommt und sich dabei mehr und mehr als Erzähler zweifelhafter Zuverlässigkeit entpuppt. Er weiß selber nicht, in wie weit er seiner Erinnerung und seiner Selbstwahrnehmung vertrauen kann, gerade wegen dieser Zwiespältigkeit war er für mich jedoch einer der interessantesten Charaktere des Buches.

Auch andere Charaktere existieren am Rand – am Rand der Gesellschaft, am Rand der Armut, am Rand des Wahnsinns… Bei jedem habe ich mich gefragt: bist du der Tagebuchschreiber? Durch die Geschichte geistert zum Beispiel der “Schenkel Ernsti” mit der Hasenscharte, der fast schon den Status einer lokalen Legende hat und mit dem Eva Schnee es im Laufe der Ermittlungen zu tun bekommt.

Die Spannung ergab sich für mich nicht nur aus der Auflösung  der Mordfälle, sondern auch aus dem, was man nach und nach über die Bewohner der Siedlung erfährt.

Fazit

Buchliebling

Viele Jahre ist es her, seit eines Morgens 18 Tote auf einer Wiese nahe der Siedlung gefunden wurden. Todesursache unbekannt. Motiv unbekannt. Keine Zeugen. Keine Verdächtigen.

Den ermittelnden Kommissar ließ der Fall niemals los, obwohl ihn seine Obsession der Lösung keinen Schritt näher brachte. Als die letzte überlebende Bewohnerin der damaligen Siedlung tot aufgefunden wird, ist er bereits berentet und der Fall wird von der jungen Kommissarin Eva Schnee neu aufgerollt – und die muss sich zunehmend fragen, wo die Grenze verläuft zwischen Wahn und Realität.

Für mich war dieser Thriller mal etwas ganz anderes – ich war begeistert von der intelligent konstruierten  Geschichte und dem außergewöhnlichen Schreibstil. Interessant fand ich dabei nicht nur den Mordfall, sondern auch die Schilderung der ganz alltäglichen menschlichen Abgründe in der Siedlung.

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Die Rabenmutti

Wertung4,5 von 5 Sternen
TitelDie Siedlung der Toten
Originaltitel
Autor(in)Max Landorff
Übersetzer(in)
Verlag*Fischer Scherz
Seitenzahl*320
Erschienen am*14. Dezember 2017
GenreKrimi / Thriller
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches

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