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Im Jahr 2020 war ich zum zweiten Mal als Mitglied der Bloggerjury beteiligt am Literaturpreis “Das Debüt”. Ich durfte die fünf Titel der Shortlist lesen, um mir eine Meinung zu bilden und meine drei Favoriten zu küren – und da waren Titel dabei, die ich sonst wahrscheinlich nie für mich entdeckt hätte!
Mehr darüber habe ich schon in den beiden Beiträgen geschrieben, die ich euch hier verlinke:
Link: [ Das Debüt 2020 ] Bloggerpreis für Literatur – mein Blog ist dabei!
Link: [ Das Debüt 2020 ] Bloggerpreis für Literatur: Die Shortlist
Die anderen Mitglieder der Bloggerjury:
Marina Büttner von literaturleuchtet / @marina.literaturleuchtet
Ines Daniels von letteratura / @letteratura_blog
Sandra Doods von Frau Pastell / @fraupastell
Katrin Faulhammer von Buchkati / @buchkati
Sabine Gelsing von Sabine Gelsing / @sabine_gelsing
Eva Jancak von Literaturgeflüster
Ruth Justen von Ruth liest / @ruthjusten
Ramona Kottusch von Marvellous.Books / @marvellous.books
Patrick Linke von @patrick1166l
Fabian Neidhardt von mokita / @jahfaby
Katja Plifke von Zwischen den Seiten / @books.with.rabenfrau
Marion Rave von schiefgelesen.net / @schiefgelesen
Petra Reich von LiteraturReich / @literaturreich
Marc Richter von Lesen macht glücklich / @lesen_macht_gluecklich
Julia Seiferth von @miss_lia48
Silvia Walter von leckere Kekse / @leckerekekse_silvia
Auf unseren Blogs findet ihr jeweils einen Beitrag, in dem wir unsere persönlichen Favoriten vorstellen.
Jede*r von uns wählte drei Bücher aus und vergab einen Punkt für den dritten Platz, drei Punkte für den zweiten Platz und fünf Punkte für den ersten Platz. Die von allen Jurymitgliedern vergebenen Punkte wurden dann zusammengerechnet, um die Gesamtgewinner zu ermitteln.
Jetzt kommen wir schon zu meinem Siegertreppchen!
Wie schon 2019 musste ich auch 2020 tief in mich gehen und meine Wahl aus allen Blickwinkeln überdenken. Zwar war mir relativ schnell klar, welche drei Debütromane es sein sollten, aber die genaue Reihenfolge habe ich immer wieder hin- und hergeschoben.
*Trommelwirbel*
Ein Punkt geht an: “Streulicht” von Deniz Ohde.
© Cover ‘Streulicht’: Suhrkamp
© Bild Smartphone: Pixabay
Link: [ Rezension ] Deniz Ohde: Streulicht
Deniz Ohde erzählt eine intersektionale Bildungsbiographie: die namenlose Erzählerin ist intelligent und wissbegierig, wird als Halbtürkin und Arbeiterkind aus ärmlichen Verhältnissen aber immer wieder ausgegrenzt. Ihr wird deutlich zu verstehen gegeben, dass höhere Bildung nicht für ‘eine wie sie’ gedacht ist, doch sie kämpft sich mühsam über den zweiten Bildungsweg zum Realschulabschluss, dann zum Abitur und zum Studium – und fühlt sich immer noch ratlos und entwurzelt.
(Handlung)
Die Autorin zeichnet das Bild dieses beschwerlichen Bildungsaufstiegs mit ausdrucksstarken, ausgezeichnet ausformulierten Sätzen, die aufhorchen lassen. Die glasklare Schönheit der Sprache bildet einen scharfen Kontrast zu all dem Unrecht, das der Protagonistin widerfährt, dem bildungsfernen Milieu, aus dem sie stammt, und findet doch die perfekten Bilder dafür.
Das Buch rüttelt auf, zeigt einem in vielen Gedankensplittern ein Kaleidoskop des Alltagsrassismus und des Gatekeepings im Bildungssystem: du kommst hier nicht rein. Als die Protagonistin dann doch den Fuß in die Tür bekommt, wird ihr gönnerhaft versichert, sie sei ja nicht wie “die Anderen”. Die anderen Türkinnen? Die anderen Arbeiterkinder? Die Geschichte hallt nach, was sicher auch daran liegt, dass Deniz Ohde aus eigenen Erfahrungen schöpft.
Drei Punkte gehen an: “Schatten über den Brettern” von David Misch
© Cover ‘Schatten über den Brettern’: duotincta
© Bild Smartphone: Pixabay
Link: [ Rezension ] David Misch: Schatten über den Brettern
Ein alter Mann (“Ich”) erzählt aus einem Leben als freier Schauspieler zu einer Zeit, als das bestehende faschistoide Regime die Macht übernahm. Seine Zuhörerin (“Du”) ist zu jung, um sich an die Welt davor zu erinnern, und fühlt sich gleichzeitig fasziniert und von der scheinbaren Blasphemie seiner Ansichten abgestoßen. Als dritte Präsenz tritt ein unheilvoller “ER” auf, den man als Leser lange nicht in diese Figurenkonstellation einordnen kann.
(Handlung)
Oh, was habe ich mich erst schwergetan mit diesem Buch. Die Handlung erschien mir konfus, die Charaktere schwer zu greifen, aber es war vor allem die Sprache, die ihre Widerhaken schmerzhaft in mein Gehirn schlug. Mein Widerwille wuchs: Anstrengend. Sperrig. Von Sprachfluss keine Rede, jeder Schachtelsatz ein Staudamm. Ich schob die Worte vor mir her wie Sisyphos seinen Felsen. Doch nachdem ich mich erstmal eingelesen hatte, entwickelte das Buch auf mich eine ungeheure Sogwirkung, in deren Verlauf ich zu einem ganz anderen Fazit kam:
Dieser Debütroman ist sicher nicht leicht zu lesen, aber meines Erachtens der Mühe wert. Er ist anspruchsvoll, düster, komplex, vielschichtig, intelligent und vor allem originell. Die Genregrenzen verschwimmen, und auch die Realität ist hier ein sehr fluides Konzept. Sie wird immer wieder hinterfragt, auf den Kopf gestellt, ad absurdum geführt, spiegelt sich wie in einem Spiegelkabinett in sich selbst sich selbst sich selbst… Das ist in meinen Augen brillant konstruiert.
Fünf Punkte gehen an: “Wir verlassenen Kinder” von Lucia Leidenfrost
© Cover ‘Wir verlassenen Kinder’: Kremayr & Scheriau
© Bild Smartphone: Pixabay
Link: [ Rezension ] Lucia Leidenfrost: Wir verlassenen Kinder
In Lucia Leidenfrosts Debüt herrscht ein unbestimmter Krieg. Wo? Warum? Das wird nicht näher erläutert. Es geht um die Kinder, die im Grunde zu Kollateralschäden dieses Konfliktes werden – aus Not verlassen von ihren Eltern, die anderswo nach Arbeit suchen müssen. Die Kinder stellen ihre eigenen Regeln auf, mit den dazugehörigen Strafen für Verstöße, doch sie verlieren mehr und mehr den Halt. Die Zivilisation wird zunehmend zur hauchdünnen Fassade.
(Handlung)
Geht es hier wirklich um Krieg, oder ist der Krieg nur ein Sinnbild für die Unbilden der menschlichen Natur? Geht es um zerrüttete Familien oder den Konflikt zwischen anerzogener Zivilisation und gewaltbereitem menschlichem Urinstinkt? Sind die Kinder verrohte kleine Bestien oder nur Platzhalter für die Verlustängste jedes Menschen?
Diese Unsicherheit entwickelt eine fatalistische Sogwirkung und verleiht der Erzählung etwas Albtraumhaftes, mit nur gelegentlichen Momenten der aussichtslosen und dennoch unerschütterlichen Hoffnung. Die Glaubhaftigkeit der Geschichte liegt dabei nicht in Fakten begründet – es ist die zeitlose Wahrheit der Märchen und Sagen, die hier in ihrer ganzen Grausamkeit waltet. Gerade deswegen trifft sie die Leser:innen ins Mark, ungeachtet jeglicher Logik oder Begründung.
Der Stil ist schlicht, auf die blanken Knochen reduziert, doch Leidenfrost spielt auf dieser Klaviatur ein vielstimmiges Lied mit leiser Wucht und dichter Atmosphäre. Gerade die “wir”-Perspektive der Kinder schreibt sie in geradezu hypnotischen Worten. Das ist packend und unwiderstehlich – und so beklemmend wie ein Choralgesang, dessen Misstöne sich der genauen Analyse entziehen.
Was bleibt ist ein tiefes elementares Grauen: die Urangst eines verlassenen Kindes. Definitiv ein sehr starker Debütroman und eine Autorin, die man im Auge behalten sollte!
And the winner is…
Herzlichen Glückwunsch an Deniz Ohde! Meine Meinung zu diesem gelungenen Debütroman habt ihr ja weiter oben schon gelesen.
Die Begründung der Gesamtentscheidung findet ihr hier auf der Webseite von “Das Debüt”!
Dort werden auch die Stimmen der verschiedenen Jurymitglieder zitiert und ihre Rezensionen zu den verschiedenen nominierten Büchern verlinkt.
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