#Rezension Romina Pleschko: Ameisenmonarchie

Romina Pleschko: Ameisenmonarchie

© Cover ‘Ameisenmonarchie’: Kremayr & Scheriau
© Bild Smartphone: Pixabay

Ans Licht gezerrt

In diesem satirischen Episodenroman geht es um die Bewohner eines Wiener Wohnhauses. Eine übergreifende Handlung gibt es höchstens lose, stattdessen manifestieren sich menschliche Eigenheiten, gnadenlos auf die Spitze getrieben, in den verschiedenen Charakteren. Das gibt ihnen klischeehafte Züge, dennoch kann sich wohl jede:r Leser:in mit leisem Schrecken in wenigstens einer der Episoden ein Stück weit wiederfinden.

Romina Pleschko beschreibt die kleinen fiesen Geheimnisse und die kläglichen Unsicherheiten zynisch, mit bitterbösem Humor. Sie findet den Punkt, wo es wehtut, und da legt sie den Finger in die Wunde. Manchmal schrappt das haarscharf an der Grenze dessen entlang, was noch witzig ist, manchmal schießt es darüber hinaus und wird richtig unangenehm…

Dennoch: es werden viele interessante Themen angesprochen!

Die Charaktere:

Herb Senior

Ein sexistischer Halbgott in Weiß, der seine Frau heimlich ruhigstellt, indem er Beruhigungstabletten zu Pulver verreibt und dieses dann sorgfältig in die Fettaugen ihrer Lieblingssalami schmiert. Er hat keinerlei Interesse an ihr als Mensch, sie ist nur Teil seiner oberflächlichen Fassade – viel Schein, wenig echtes Sein.

Margarete, seine Frau

Sie ist meines Erachtens die Ameisenkönigin dieser Geschichte. Sie hat seit langem das Haus nicht mehr verlassen, verfolgt nur, gekleidet in ihren extravaganten schwarzen Morgenmantel, von ihrem Fenster im Dachgeschoss herab das Wuseln der Menschen auf der Straße. Dass sie schon seit Jahren kein einziges Wort mehr spricht, ist bisher weder ihrem Mann noch ihrem Sohn aufgefallen.

Sie realisiert irgendwann, dass Herb Senior sie sediert, verschweigt dieses Wissen aber und entsorgt nur die Salami, um wieder klar im Kopf zu werden. Sie ist vielleicht die Figur in diesem Spiel, die die größte Entwicklung zeigt.

Herb Junior

Er ist nur wegen seines Vaters Frauenarzt geworden, obwohl er Frauen und besonders ihre Vaginen eigentlich abstoßend findet. Seine Homosexualität verschweigt er dem Vater gegenüber, weil er weiß, dass dieser es niemals akzeptieren würde.

Der Nationalratsabgeordnete der unwählbaren Partei

In den verliebt sich Herb Junior Hals über Kopf, obwohl er dessen offensichtlich rechte politische Gesinnung nicht teilt. Aber mehr und mehr findet er Entschuldigungen und Erklärungen für diese Gesinnung, um nicht klar Stellung beziehen zu müssen… Für mich vielleicht das interessanteste Thema des Buches: verteidigen wir unsere Prinzipien auch dann, wenn es bedeutet, dass wir Dinge in unserem eigenen Leben ändern müssten?

Der Mann namens Klaus

Ihn turnt bei Frauen nichts mehr an als Unsicherheit, sogar Angst. Er ist einfach ein durch und durch ekelhafter Mensch – in seinem Beruf als Modefotograph drangsaliert er junge Models so lange, bis er die Angst in ihren Augen auf Fotos festhalten kann, und in seiner Freizeit betätigt er sich mit Genuss als Internettroll, mit verschiedenen Profilen und Identitäten.

Karin

Kosmetikerin und das neuste Opfer von Klaus. Sie ist alleinerziehend, hat Angst davor, alt zu werden. Sie ist buchstäblich süchtig nach dem Internetforum, in dem sie sich den Ruf einer Kosmetikexpertin erarbeitet hat, sucht stets nach Bestätigung, nach dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Ihre kleine Tochter ist zu ihrem Bedauern nicht mehr niedlich genug, um im Forum mit Fotos von ihr anzugeben – ein enttäuschendes Requisit.

Gegen Ende passieren mehrere Dinge Schlag auf Schlag.

Natürlich will ich hier nicht zu viel verraten, nur soviel sei gesagt: Romina Pleschko nimmt das Credo “kill your darlings” mal mehr, mal weniger wörtlich. Und das erschien mir dann in manchen Fällen dann doch etwas zu bemüht, als müssten die einzelnen Handlungsstränge auf jeden Fall irgendwie abgeschlossen werden.

Aber das Ende lässt sich in meinen Augen verschmerzen, weil der Roman ansonsten mit viel Einfallsreichtum punktet und der:m Leser:in mit prägnanten Worten und Metaphern den Spiegel vorhält. Die Sprache ist mal humorvoll, mal vulgär, liest sich aber immer flott und unterhaltsam – auch wenn du dir manchmal vorkommst als stierest du diese kaputten Existenzen in erbärmlichen Voyeurismus an.

Fazit

Schöner Wegbegleiter

“Ameisenmonarchie” ist Reality-TV in Buchform. Romina Pleschko lässt die Bewohner eines Wiener Wohnhauses mit all ihren Marotten, Ängsten, schändlichen Geheimnissen antanzen und entblößt diese bis ins kleinste Detail. Aber lache lieber nicht zu laut – das könnte dir im Hals steckenbleiben, wenn du dich in ihnen wiedererkennst.

Ist das immer geschmackvoll? Nein. Ist es immer witzig? Wieder nein. Aber es führt die menschliche Natur satirisch und überspitzt vor, immer wieder eine echte Punktlandung. Sexismus. Geltungssucht. Unterdrückte sexuelle Bedürfnisse. Abhängigkeit von sozialen Medien. Angst vor dem Altern. Die Bereitwilligkeit, eigene Prinzipien zu verraten, wenn du dir davon etwas verspricht.

Ich fand das hochinteressant und trotz eines für mich nicht ganz stimmigen Endes auch sehr gelungen – mit nur kleinen Abstrichen.

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TitelAmeisenmonarchie
Originaltitel
Autor(in)Romina Pleschko
Übersetzer(in)
Verlag*Kremayr & Scheriau
ISBN / ASIN978-3-218-01270-6 (Hardcover)
978-3-218-01271-3 (eBook)
Seitenzahl*208
Erschienen im*Februar 2021
Genre*Gegenwartsliteratur
bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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