#Rezension Simon Sailer: Das Salzfass

Simon Sailer: Das Salzfass

© Cover ‘Das Salzfass’: Edition Atelier
© Bild eBook-Reader: Pixabay

Handlung

Antiquitätenhändler Maurice hat vor kurzem einen Nachlass abgewickelt: viel Schund, aber auch einige schöne Stücke, für ihn wenig mehr als Routine. Doch ein altes Salzfässchen, an sich hübsche Vexierware, erweist sich als unverkäuflich – und unersättlich… Bald schon dreht sich Maurices ganzes Leben nur noch um das sonderbare Salzfass und dessen Bedürfnisse, die es doch eigentlich gar nicht haben dürfte. Zunehmend verzweifelt versucht er, sich dieses gierigen Stücks Silberware zu entledigen.

Zurück in der Essiggasse

Nachdem mir “Die Schrift” von Simon Sailer letztes Jahr so gut gefallen hatte, musste ich auch “Das Salzfass” unbedingt lesen. Die Novellen gehören zwar beide zur Essiggassen-Trilogie (der dritte Teil folgt) und es gibt gewisse Berührungspunkte, Leser:innen können sie aber gut unabhängig voneinander lesen.

Dieses kleine Hardcover ist beinahe genauso edel ausgestattet wie sein Vorgänger, mit wunderschönen Illustrationen von Jorghi Poll, die die Geschichte gleichzeitig unterstreichen und erweitern. Ein klitzekleiner Wermutstropfen nur: waren diese in “Die Schrift” noch farbig, sind sie in “Das Salzfass” schwarz-weiß, aber dennoch sehr stimmig und atmosphärisch. Das Buch bekommt auf jeden Fall einen Ehrenplatz hier im Regal, neben anderen hübschen Büchern aus dem Verlag.

Kafka meets ‘Little Shop of Horrors’

Die Geschichte ist wieder wunderbar surreal. Der Held ist auch hier ein ganz normaler Mensch, der sich unversehens in einer verzweifelten Lage wiederfindet – gebunden an einen Gegenstand, der ihn in den Abgrund reißt, von dem er sich jedoch nicht trennen kann. Das scheint eine Spezialität des Autors zu sein: Protagonisten, die zu Opfern einer Macht werden, die sie weder steuern noch beeinflussen können. (Oder wollen?) Sie befinden sich eigentlich auf vertrautem Terrain, umgeben von Gegenständen, für die sie Experten sind. Und genau diese Gegenstände werden ihnen zum Verhängnis.

Aber sind es wirklich die Gegenstände, die das Verderben einläuten, oder sind diese nur ein Sinnbild für einen Aspekt der Persönlichkeit der Protagonisten?

Das Corpus Delicti ist dieses Mal jedenfalls ein kleines Salzfässchen in recht gutem Erhaltungszustand, das sich unerklärlicher Weise nicht verkaufen und nicht einmal verschenken lässt. Und es stimmt etwas nicht mit diesem weißen Film, der doch erst so harmlos wie ein bisschen hartnäckiger Salzrückstand aussieht…

Spätestens hier gibst du die reine Rationalität besser erstmal ab

Keine Sorge, die kriegst du nach der letzten Seite unbeschädigt wieder. Denn es ist alles so albtraumhaft, abwegig, aberwitzig, absurd – und gleichzeitig liest es sich ganz plausibel… Irgendwo bist du halt falsch (oder richtig?) abgebogen und hast einen Abstecher in eine Realität gemacht, in der diese Geschehnisse Sinn ergeben. Bist vielleicht ins Kaninchenloch gefallen.

Doch auch wenn alles wie in einem Vexierspiegel verzerrt dargestellt wird, kannst du doch erahnen, dass dahinter etwas steht, das durchaus Wert und Bedeutung hat. Die Gegenstände bekommen fast schon menschliche Züge, während die Menschen, die sich von ihnen nicht lösen können, zwischendurch geradezu grotesk und sogar tierhaft erscheinen.

Simon Sailer kann einfach schreiben

Er erhielt nicht von ungefähr im März den Clemens-Brentano-Preis für “Die Schrift”. Seine Sprache hat einen ganz eigenen Klang, dem du nachspürst, bis er ganz und gar verhallt ist… Und dann bemerkst du erst die subtilen Misstöne, die dich an diesem oder jenem Element der Geschichte zweifeln lassen. Gewürzt wird das Ganze mit einem herrlich eigenwilligen Humor.

Sailer hat ein ungemein feines Gespür für die menschliche Natur, die sich jedoch immer wieder als widersprüchlich und unzuverlässig erweist. Daher lassen sowohl “Die Schrift” als auch “Das Salzfass” am Schluss der jeweiligen Geschichte auch noch manches an Interpretationsspielraum offen, was ich jedoch keineswegs als Manko sehe.

Ein Teil des Vergnügens, diese Novellen zu lesen, liegt darin, sich einen eigenen Weg durchs Labyrinth zu suchen.

Fazit

Lieblingsbuch

In einer atmosphärisch dichten Groteske erzählt Simon Sailer von Antiquitätenhändler Maurice, dem ein altes Silberfässchen zum Verhängnis wird – es verschlingt buchstäblich sein ganzes (Berufs)leben und er weiß nicht, wie er es loswerden soll. Kaufen will es keiner, nicht mal geschenkt haben, und ignorieren lässt es sich auch nicht.

Ich liebe den einzigartigen Schreibstil des Autors, seinen feinen Humor, die trügerische Vielschichtigkeit seiner Geschichten, deren Spiel mit Realität und Wahn… Auch wenn “Das Salzfass” nur 128 Seiten umfasst, enthalten diese doch viel mehr Bedeutung, als du bei einmaliger Lektüre begreifen kannst – definitiv ein Büchlein zum mehrfach lesen!

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TitelDas Salzfass
Originaltitel
Autor(in)Simon Sailer
Übersetzer(in)
Verlag*Edition Atelier
ISBN / ASIN978-3-99065-046-2 (Hardcover)
978-3-99065-051-6 (eBook)
Seitenzahl*128
Erschienen im*Februar 2021
Genre*Gegenwartsliteratur
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