[ Rezension ] Lilja Sigurðardóttir: Das Netz

Lilja Sigurðardóttir: Das Netz

Ein Rezensionsexemplar des Buches wurde mir von Netgalley im Auftrag des Verlags zur Verfügung gestellt.

© Cover ‘Das Netz’: Dumont
© Bild Smartphone: Pixabay

Handlung

Alles fängt damit an, dass Sonja von ihrem Mann Adam in flagranti beim Ehebruch erwischt wird. Mit einer Frau – und noch dazu einer, die ihm beileibe keine Unbekannte ist.

Sonja kann sich keinen Anwalt leisten, verliert das Sorgerecht. Darüber hinaus braucht sie Geld, um sich eine stabile Existenz einzurichten, bevor sie versucht, ihren Sohn zurückzubekommen. Da wirft ihr jemand einen finanziellen Rettungsring zu, und sie soll dafür nur etwas ausliefern – alles ganz harmlos, alles ganz normal. Bevor Sonja sich versieht, ist sie rettungslos in den Kokainschmuggel verstrickt.

Der alte Zollbeamte Bragi hat Sonja schon im Visier, obwohl er noch nichts gegen sie in der Hand hat, und auch ihre Beziehung zu ihrer Geliebten Agla sorgt für zusätzlichen Stress. Denn erstens ist diese selber in zwielichtige Geschäfte involviert, zweitens reagiert sie mit explosiver Wut auf die leiseste Andeutung, sie sei vielleicht lesbisch, ist gleichzeitig aber obsessiv besitzergreifend.

Ein Thriller, so rau wie das Land

Die Handlung ist komplex, sehr geschickt und vielschichtig konstruiert. Eine düstere Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit durchzieht dass ganze Buch – es spielt vor dem Hintergrund der isländischen Finanzkrise, und die führt dazu, dass Unschuldige in die Kriminalität abrutschen und bereits Kriminelle sich noch tiefer darin verstricken. Eine perfekte Grundlage für einen Krimi der Zwischentöne und Abgründe.

Die Charaktere sind zwiespältig, wären auch in einem Film Noir nicht fehl am Platz. Nicht nur, dass jeder durchaus gravierende Probleme und Sorgen mit sich herumschleppt – nein, sie haben zusammengenommen auch eine erstaunliche kriminelle Energie. Mir ging es oft so, dass ich Sonja oder Agla die Daumen drückte, mit ihnen mitfieberte, nur um mir dann plötzlich zu denken: Moment mal…?

Sonja

Sonja ist vielleicht aus Naivität und Verzweiflung abgerutscht in den Kokainschmuggel, aber sie steckt dennoch viel Planung in ihre Touren, lässt Skrupel nicht zu, tut schreckliche Dinge, damit das Geld weiter fließt. Kaum ein Gedanke an die Menschen, denen die Sucht das Leben zerstört. Ja, sie will raus, sie will sich aus dem Netz befreien – aber das ist zu einem großen Teil mehr Eigennutz als echte Reue.

Dennoch sind ihre kreativen Ideen, um kiloweise Kokain ins Land zu schmuggeln, sehr unterhaltsam. Das grenzt schon an Genie! Das Buch könnte fast als Lehrbuch für angehende Schmuggler dienen…

Agla

Ex-Bankerin Agla ist bissig, aggressiv, launisch – und eine Meisterin der Selbstverleugnung. Sie ist bis über beide Ohren verliebt in Sonja, in fast schon krankhafter Intensität, aber sie besteht darauf, das sei nur eine Ausnahme, sie sei “keine von denen”. Ich hätte sie oft schütteln können, denn ihre Beziehung zu Sonja ist toxisch, pures Gift für beide, und das eigentlich nur, weil Agla sich für ihre Sexualität selber verachtet.

Außerdem entpuppt sie sich nach und nach als Mensch mit fragwürdigen Prinzipien, je weiter der Prozess voranschreitet, der kriminelle Deals der Bank aufdecken soll. Auch sie, die anscheinend nicht ganz unschuldig ist am Crash, kennt keine Reue, bereut nur, dass jetzt wahrscheinlich alles auffliegt.

Bragi

Der alte Zollbeamte Bragi scheint ein sehr anständiger Mensch zu sein: er geht auf in seiner Arbeit und liebt seine demente Frau innig, obwohl sie ihn schon lange nicht mehr erkennt. Dieser Teil der Geschichte ist unglaublich tragisch, denn er kann sich keine gute Betreuung leisten, muss hilflos
mitansehen, wie sie im Heim schlecht behandelt wird und verkümmert.

Aber auch Bragi ist keineswegs eindimensional, zeigt im Laufe der Geschichte überraschende Seiten!

Man muss der Spannung Zeit geben, sich aufzubauen.

Der langsame Abstieg in den gesellschaftlichen Morast sorgt eher für unterschwelliges Unbehagen als kribbelndes Adrenalin – und dennoch: das hat echte Sogwirkung.

Es sind vor allem die Charaktere, die dafür sorgen, dass man unbedingt weiterlesen will. Obwohl sie keine typischen Sympathieträger sind, wollte ich trotzdem immer wissen, wie es mit ihnen weitergeht, weil sie so lebensecht wirken.

Die Sprache passt perfekt zu diesem finsteren Reykjavik Noir.

Sie ist klar und schnörkellos, gut geeignet für einen Roman, der bar jeder Illusion menschliche Abgründe beleuchtet.

Der Schluss enttäuschte mich zunächst.

Bis mir klar wurde, dass es sich hier um den ersten Band einer Trilogie handelt! Dinge, über die ich gerne mehr erfahren hätte, die noch nicht schlüssig aufgeklärt wurden, werden dann wohl im zweiten Band wieder aufgegriffen.

Fazit

Lieblingsbuch

Eine junge Mutter wird bei einer lesbischen Affäre ertappt und verliert sowohl den Ehemann als auch das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn. Sie braucht Geld, um sich eine gesicherte Existenz aufzubauen, bevor sie versuchen kann, ihren Sohn zurückzubekommen – und rutscht durch einen falschen Freund ab in den Kokainschmuggel.

Die Atmosphäre ist desolat, keiner der Charaktere hat eine blütenreine Weste. Dennoch hat mir das Buch sehr gut gefallen! Die Figurenzeichnung ist bestechend glaubhaft, die Handlung geschickt konstruiert und voller moralischer Graustufen.

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TitelDas Netz
OriginaltitelGildran
Autor(in)Lilja Sigurðardóttir
Übersetzer(in)Anika Wolff
Verlag*Dumont
ISBN / ASIN978-3-8321-6519-2 (Taschenbuch)
978-3-8321-7014-1 (eBook)
Seitenzahl*360
Erschienen im*Juni 2020
GenreKriminalroman
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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