#Rezension Frauke Buchholz: Frostmond

Frauke Buchholz: Frostmond

© Cover ‘Frostmond’: Pendragon-Verlag
© Bild Smartphone: Pixabay

Handlung

“Seit Jahren verschwinden junge Frauen indigener Herkunft spurlos entlang des Transcanada-Highways. Für die Polizei scheinen diese Verbrechen keine Priorität zu haben. Doch als die 15-jährige Jeanette Maskisin in Montreal tot aufgefunden wird und die Medien darüber groß berichten, werden die Ermittler LeRoux und Garner auf den Fall angesetzt.

Ihre erste Anlaufstelle ist ein Cree-Reservat im hohen Norden Quebecs, aus dem Jeanette stammt. Dort stoßen die Polizisten auf Ablehnung, denn aus Sicht der First-Nation-Familien hat sich die Polizei nie für die vermissten Frauen interessiert. Die Ermittler kommen immer mehr in Bedrängnis, denn es werden weitere Opfer befürchtet und auch der Täter wird zur Zielscheibe – jemand hat blutige Rache geschworen.”

(Klappentext)

Highway of Tears

Der “Highway of Tears” ist leider keine Erfindung der Autorin. So wird tatsächlich im realen Leben ein 725 Kilometer langer Abschnitt des Transcanada-Highways genannt, entlang dessen schon seit vielen Jahren junge indianische Frauen verschwinden und entweder nie wieder auftauchen – oder nur tot. Von achtzehn Opfern spricht die Royal Canadian Mounted Police, diverse Indigenen-Organisationen dokumentieren hingegen über vierzig Opfer.

In “Frostmond” wird ein weiteres Opfer des Highways aufgefunden, die erst 15-jährige Cree-Indianerin Jeanette Maskisin. Das Medieninteresse ist hoch, was die Polizei zu verschärften Ermittlungen zwingt. Mit diesem Fall müssen sich daraufhin zwei Männer befassen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und die sich jeden Schritt des Weges misstrauisch oder gar mit offener Feindseligkeit beäugen.

Jean-Baptiste LeRoux

Der frankokanadische Sergeant Jean-Baptiste LeRoux ist ein unverbesserlicher Weiberheld, der einerseits seine Ehe retten will, andererseits aber weder seines Alkoholismus noch seiner Sexsucht Herr wird. Von Therapie, wie seine Frau berechtigterweise vorschlägt, will er nichts wissen. In seinem Job ist er schon lange ausgebrannt, quält sich nur noch waidwund und voller Selbstmitleid durch die Ermittlungen.

Das schrappt meines Erachtens oft nur haarscharf am Klischee vorbei, mir fehlte ein tieferes Verständnis für das, was ihn antreibt und umtreibt. Manches wird hier und dort erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt, wie zum Beispiel das Thema eines unerfüllten Kinderwunsches.

Ted Garner

LeRouxs Gegenpart in dieser Ermittlung ist der anglokanadische Verstandsmensch Ted Garner, Profiler der Royal Canadian Mounted Police. Der teilt seine Verachtung in alle Richtungen aus und bedient dabei auch noch großzügig rassistische Vorurteile, ist eiskalt und arrogant, hält nichts von Teamwork… Wo immer er in Aktion tritt, schafft er sich schnell Feinde.

Nur für Schopenhauer schlägt scheinbar sein analytisches Herz – und für die falsche Frau. Genau diese Romanze wollte für mein Empfinden jedoch nicht so recht dazu passen, wie Garners Charakter ansonsten beschrieben wird. Allzu schnell werden seine Gedanken schwärmerisch und geradezu kitschig; da fehlten mir ein überzeugendes auslösendes Ereignis oder schlüssige Begleitumstände, die eine so drastische Wandlung erklären könnten.

Eine zum Scheitern verurteilte Partnerschaft?

Sympathieträger sind im Grunde beide Männer nicht. Da sie aber sehr gegensätzliche Menschen sind, ergänzen sie sich bei der Ermittlung tatsächlich ganz gut – wenn man mal davon absieht, dass beide gleichermaßen verloren sind, wenn sie ihre urbanen Welten verlassen und sich auf indianisches Gebiet begeben müssen. Denn natürlich führen ihre Ermittlung sie auch nach Niskawini, das Cree-Reservat, in dem Jeanettes familiären Wurzeln liegen.

Die Menschen dort haben wenig Grund, der Polizei zu trauen, denn bisher hat sich ja niemand wirklich für die ermordeten Frauen interessiert, und die Polizei ist Teil eines Systems, das der indigenen Bevölkerung übel mitgespielt hat. Das Misstrauen beruht auf Gegenseitigkeit, da kommt die eine Seite der anderen kein Stück entgegen.

Leon Maskisin

Den Gegenpol zu diesem widerwilligen Zweigespann bildet Leon, Cree-Indianer und Cousin des ermordeten Mädchens. Er führt ein Leben ganz nah an den Traditionen seiner Vorväter, beschafft Nahrung und verdient sich Geld mit Jagen und Fallenstellen nach den Methoden seines Großvaters. Durch Leon gewinnt das Buch eine ganz andere Perspektive, die ungemein wichtig ist für die Geschichte und deren gesellschaftskritische Komponente.

Durch ihn erweitern sich die Themen und Spannungsfelder. Es wäre geradezu sträflich, ein Buch wie dieses zu schreiben, ohne einem indianischen Charakter eine eigene Stimme zu geben, und mit Leon gelingt der Autorin ein sehr überzeugender Blickwinkel.

Schreibstil, Spannung und Gesellschaftskritik

Die Geschichte entfaltet sich in ausdrucksstarken, düsteren Bildern vor den Leser:innen, in packend geschriebenen Episoden, die wortgewandt und geschickt konstruiert für Krimispannung sorgen. Doch was diesen Krimi von anderen Krimis abhebt, ist die schon erwähnte Gesellschaftskritik: er prangert den Rassismus an, der der indigenen Bevölkerung immer noch entgegengebracht wird.

Die Autorin beleuchtet die Ausgrenzung, die Benachteiligung, die bodenlose Ungerechtigkeit gegenüber Menschen, denen ohnehin schon unsägliches Unrecht angetan wurde. Das ist überzeugend, bestürzend und hat immer den Klang der Wahrheit.

Hintergrund und Recherche

Hier sei erwähnt, dass Frauke Buchholz längere Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht hat und immer noch Freundschaften aus dieser Zeit pflegt. Diesen unmittelbaren Einblick in die Kultur der Cree und das Leben in den Reservaten merkt man “Frostmond” positiv an.

Zuletzt sei gesagt:

Das Ende lässt viel Raum für eine Fortsetzung. Es wird einiges aufgeklärt, aber es bleibt auch einiges offen – was sicher realistisch ist, denn selbst in einem Land wie Kanada, wo man es nicht erwarten würde, fallen unterprivilegierte Menschen zu oft durchs Raster, zum Teil vor aller Augen.

Fazit

Wegbegleiter

Eine 15-jährige Cree-Indianerin wird tot aufgefunden, der Medienrummel ist groß. Der frankokanadische Polizist Jean-Baptiste LeRoux, ein desillusionierter Alkoholiker, und der anglokanadische Profiler Ted Garner, arroganter Vernunftsmensch mit zahlreichen Vorurteilen, sollen zusammenarbeiten, um den Fall schnellstmöglich abzuschließen, sind sich aufgrund ihres gegensätzlichen Naturells aber schnell spinnefeind. Derweil zieht der Cousin des ermordeten Mädchens los, um den Mörder zu finden und zu töten.

Großartig fand ich, wie fundiert und gut recherchiert die Autorin über das Leben der Cree in Kanada schreibt und dabei den alltäglichen Rassismus beleuchtet, der diese Menschen immer noch an den Rand der (weißen) Gesellschaft drängt. Der Schreibstil ist wunderbar atmosphärisch und packend, die Perspektive von Leon Maskisin liest sich schlüssig und durch und durch authentisch.

Schwer tat ich mich hingegen mit LeRoux und Garner, die in meinen Augen ein wenig Tiefgang vermissen lassen – es wird einiges erwähnt, das ihnen mehr Dimension geben könnte, dem wird meines Erachtens aber nicht ausreichend Raum eingeräumt.

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TitelFrostmond
Originaltitel
Autor(in)Frauke Buchholz
Übersetzer(in)
Verlag*Pendragon
ISBN / ASIN978-3-86532-723-9 (Klappenbrochur)
Seitenzahl*288
Erschienen im*Februar 2021
Genre*Kriminalroman
bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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