#Rezension Felix Weber: Staub zu Staub

Felix Weber: Staub zu Staub

© Cover ‘Staub zu Staub’: Penguin-Verlag
© Bild Smartphone: Pixabay

Handlung

Niederlande, 1949

Der ehemalige Widerstandskämpfer Siem Coburg, gebrochen vom tragischen Tod seiner großen Liebe Rosa, lebt in selbstgewählter Isolation auf einem heruntergekommenen Hausboot. Dennoch schickt er sich an, ins Leben zurückzukehren, um eine Ehrenschuld zu begleichen.

Im Krieg ging der alte Bauer Tammens ein immenses persönliches Risiko ein, um Coburg das Leben zu retten, wobei vor allem das Kreischen seines Enkels Siebold die “Moffen” (Deutschen) in die Flucht schlug. Doch nun muss Tammens Coburg darum bitten, Siebolds Tod aufzuklären…

Der behinderte Junge kam unter fragwürdigen Umständen im Heim eines Klosters ums Leben, und Tammens will wenigstens Klarheit, wenn nicht Gerechtigkeit. Coburg muss in seinen Ermittlungen jedoch schnell feststellen, dass Siebolds Tod nicht das einzige mysteriöse Vorkommnis mit Todesfolge in diesem Heim war.

Kriegsverbrechen und -traumata

“Staub zu Staub” zeichnet ein ungeschöntes, beklemmend düsteres Bild der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit rund um das Jahr 1949 in den Niederlanden.

Der Fokus liegt auf den Erlebnissen des Widerstandskämpfers Siem Coburg – ein schwieriger, indes interessanter Charakter voller moralischer Graustufen. Man kann seine Motivation und seine Gefühle durchaus verstehen, seine Gewaltbereitschaft ist dennoch erschreckend.

Die Geschichte wird durch die Perspektiven diverser anderer Charaktere abgerundet.

Viele davon bleiben über weite Strecken ambivalent und rätselhaft, dem Leser wird es nicht einfach gemacht, sie zu verstehen, geschweige denn als Identifikationsfiguren zu sehen. Man spürt aber immer eine gewisse Komplexität, und keine der handelnden Figuren wird platt vereinfacht.

Hier wird eine Zeit dargestellt, die die Menschen an ihre Grenzen und darüber hinaus brachte, im Guten wie im Schlechten, und der Autor gibt beidem in der Darstellung seiner Charaktere Raum.

Für mich handelt es sich nur unter Vorbehalt um einen Krimi.

Eher sehe ich es als zeitgeschichtlichen Roman mit Krimielementen – damit möchte ich ihm die Spannung allerdings nicht absprechen! Das Buch ist auf seine ganz eigene Art fesselnd, und dabei originell, intelligent und flüssig geschrieben.

Die Handlung teilt sich auf verschiedene Zeitebenen und Orte auf und springt zwischen diesen oft recht abrupt hin und her. Gerade anfangs ist es dadurch nicht immer einfach, sich zu orientieren: was passiert in welcher Reihenfolge und wo, wer ist involviert? Kann man anfangs das Gesamtbild höchstens erahnen, fügen sich die Splitter der Handlung nach und nach immer mehr zusammen. Daher sollte man nicht zu schnell aufgeben, wenn man erst Schwierigkeiten hat!

Herausfordernd, aber lohnend, ist auch die schiere Anzahl der verarbeiteten Themen. Dabei eröffnen manche der Charaktere eigene Handlungsstränge, die erst nicht unbedingt zusammenlaufen mit den Erlebnissen von Coburg, aber später meist doch eine Rolle für dessen Ermittlungen spielen.

Heime für behinderte Kinder in der NS-Zeit?

Immer, wenn ich ein Buch lese oder einen Dokumentarfilm sehe, in denen die Zustände in Kinderheimen der Vergangenheit beschrieben werden, besonders solchen, die Kinder mit Behinderungen aufnahmen, fühle ich mich wieder schockiert und angeekelt – nicht von den Kindern, sondern von den Umständen, in denen sie leben mussten. Felix Weber zeigt diese Lebensumstände ohne Weichzeichner, aber auch ohne Dämonisierung der Schuldigen, die zum Teil (!) einfach unwissend und überfordert sind.

Er verwendet Ausdrücke wie “Schwachsinnige”, was mich bei einer Geschichte, die in der heutigen Zeit spielt, enorm stören würde. Hier spricht meines Erachtens jedoch nicht der Autor als Person, sondern er lässt die Charaktere der Zeit sprechen. Würden heutige Ausdrücke verwendet, würde das meines Erachtens der Authentizität der Geschichte schaden – und damit dem Leser auch weniger deutlich machen, wie entsetzlich damals mit diesen Kindern umgegangen wurde, zum Teil mit besten Absichten.

Im letzten Teil des Buches gibt es einige überraschende Entwicklungen.

Diese werden allerdings nur zum Teil vollkommen aufgeklärt. Das Ende ist meines Erachtens etwas schwach – es bleibt in vielem zu schwammig und unentschlossen, sowohl als Krimi als auch als historischer Roman.

Für mich wird damit aus einem herausragendem Buch eines, das mit leichten Abstrichen immer noch sehr lesenswert ist.

Fazit

Wegbegleiter

Niederlande, 1949: Der ehemalige Widerstandskämpfer Siem Coburg wird von dem Mann, der ihn im Krieg versteckte und damit sein Leben rettete, gebeten, den Tod seines Enkels aufzuklären, der in einem christlichen Heim ums Leben kam. Schnell eröffnen sich wahre Abgründe.

Fangen wir mit dem Ende an: das fand ich schwach, den Rest des Buches dafür aber originell, intelligent, vielschichtig und gut geschrieben. Man muss sich in den ersten Kapiteln erst daran gewöhnen, dass die Geschichte ohne Vorwarnung durch Zeiten und zwischen Charakteren und Orten springt, aber in meinen Augen lohnt sich die Mühe.

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TitelStaub zu Staub
OriginaltitelTot stof
Autor(in)Felix Weber
Übersetzer(in)Simone Schroth
Verlag*Penguin
ISBN / ASIN978-3-328-10499-5 (Klappenbroschur)
978-3-641-25402-5 (eBook)
Seitenzahl*416
Erschienen im*Juni 2020
GenreKrimi / Zeitgeschichtliches
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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