Ein Rezensionsexemplar des Buches wurde mir vom Verlag für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt.
© Cover ‘Entführung’: Unionsverlag
© Bild Smartphone: Pixabay
Handlung
“Millionärstochter Lara Blum wurde entführt. Der Täter sitzt in Haft, verweigert aber jede Aussage. Sein Motiv ist unklar. Psychopath oder Terrorist? Die Medien überschlagen sich mit Spekulationen. Bei der Polizei herrscht Ausnahmezustand.
Rechtsanwalt Pal Palushi wird zum Pflichtverteidiger ernannt. Da liefert ihm der Entführer einen versteckten Hinweis. Doch Palushi ist an das Anwaltsgeheimnis gebunden. Wird er seine Werte über Bord werfen und seine Karriere aufs Spiel setzen, um die junge Studentin zu retten?
Er gerät zwischen die Fronten. Nur seine Freundin, Ex-Polizistin Jasmin Meyer, hält zu ihm und ermittelt auf eigene Faust. Sie findet eine tödliche Spur.“
(Inhaltsangabe des Verlags)
Mediale Hetzjagd
Die Spannung hat zwei Ebenen – und eine davon hat einen sehr bitteren Beigeschmack.
Der eigentliche Kriminalfall ist komplex und vielschichtig aufgebaut, mit interessanten unerwarteten Wendungen und einer schlüssigen Auflösung. Als Viel-Leserin des Genres habe ich hier nichts zu meckern, ganz im Gegenteil: Petra Ivanov schreibt gekonnt und unterhaltsam, in einem klaren, flüssigen Stil – und man kann das Buch übrigens wunderbar lesen, ohne die ersten drei Fälle der Reihe zu kennen.
Zum einen fiebert man natürlich mit, weil ein junges Mädchen verschwunden ist und ihr Tod mit jedem Tag, der vergeht, wahrscheinlicher wird. Der Entführer, ein Moslem, sitzt im Gefängnis und schweigt. Was bedeutet das? War es ein Sexualdelikt oder eine politisch motivierte Tat? Ist Lara schon tot? Oder verhungert und verdurstet sie irgendwo langsam, weil der Täter sie nicht mehr versorgen kann?
Die Mutter verzweifelt, der Vater schwelt in ohnmächtigem Zorn, die Allgemeinheit verfolgt das in der Berichterstattung und wetzt die Messer. Der Leser rätselt und fiebert mit und schlägt schon mal die Hände über dem Kopf zusammen…
Aber es ist die andere Ebene der Geschichte, die mich noch mehr packte als der reine Kriminalfall.
Hier entwickelt das Buch eine Gesellschaftskritik, wie sie zeitgemäßer kaum sein könnte: Kritik an der vergifteten Dynamik von ‘wir gegen die da’, die in einer Ära großer Flüchtlingsbewegungen und wachsender Terrorgefahr immer kompromissloser und ungerechter wird.
Der Täter heißt Mustafa Saifullah (oder nennt sich zumindest so), der Name seines Pflichtverteidigers ist Pal Palushi. Mehr braucht es nicht, um den Zorn der Allgemeinheit zu entfachen, der dann noch munter angeheizt wird durch unverantwortliche Medienhetze. Oh, das sind beides Moslems? Die stecken doch unter einer Decke, das sieht man doch schon am Namen, das ist ein Komplott des IS, was ist dieser Anwalt für ein gewissenloses Schwein, den müsste man zwingen, auszupacken… Man kann ihn fast sehen, den Schaum vorm Mund des Wutbürgers, der Täter und Verteidiger am liebsten beide des Landes verweisen oder einsperren oder gleich hinrichten würde.
Die Vorverurteilung ist gnadenlos und hilft absolut niemandem.
Dass Pal sich gar nicht selber ausgesucht hat, Mustafa zu verteidigen, sondern dass ihm der Fall zugewiesen wurde, interessiert keinen – das würde den eigenen gerechten Zorn ja nur stören. Dass jeder das Recht auf Verteidigung hat, dass dies sogar einer der Grundsteine im Fundament eines demokratischen Landes ist, wird ausgeblendet oder sogar angezweifelt – aber doch nicht in so einem Fall! Das ist doch nicht mal einer von uns, der hat in unserer Demokratie gar nichts zu suchen…
Dabei wird Pal schier zerrissen zwischen seinem Berufsethos und dem Wunsch, sowohl Mustafa als auch Lara zu helfen – was erfordern würde, dass er die anwaltliche Schweigepflicht bricht.
Die Charaktere werden wunderbar beschrieben.
Da ist zum einen natürlich Pal, der als intelligenter und sympathischer Anwalt mit sozialem Gewissen überzeugt, und der junge Täter, mit dem man tatsächlich mitfühlen kann, weil er sowohl Täter als auch Opfer einer gezielten Radikalisierung ist.
Überhaupt ist Radikalisierung ein sehr zentrales Thema und man lernt mehrere junge Männer kennen, deren Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit von radikalen Gruppen hemmungslos ausgenutzt wird. Und je mehr die breite Öffentlichkeit sie vorverurteilt und ausgrenzt, desto anfälliger sind sie dafür.
Pals Freundin Jasmin Meyer steht ihm an Komplexität und Bedeutung für die Geschichte in nichts nach. Sie ist entschlossen, mutig, einfallsreich, intelligent – und sie ist eine Ex-Polizistin, die selber einmal zum Opfer einer Entführung wurde und monatelang eingesperrt blieb, in den Fängen eines sadistischen Mörders.
Der greift übrigens aus dem Gefängnis heraus in das aktuelle Geschehen ein… Mehr will ich dazu hier nicht verraten! Aber es bringt Pal in eine sehr schwierige Lage. Man spürt als Leser, beklommen, wie sehr er von allen, wirklich allen Seiten unter Druck gesetzt wird.
Fazit
Die junge Lara wird entführt, der Entführer wird geschnappt und landet im Gefängnis… Fall erledigt? Keineswegs, denn Lara wurde noch nicht gefunden und der Täter schweigt sich aus. Ist sie tot? Wartet sie, irgendwo hilflos eingesperrt, auf Rettung?
Der Fall ist spannend und gut geschrieben, aber was mich wirklich packte, war die zweite Ebene der Geschichte: Täter und Anwalt sind Moslems, Medien und Öffentlichkeit geifern in islamophobem Zorn. Der Leser verfolgt, wie Anwalt Pal Palushi sich quasi durch ein Minenfeld bewegt, während er und seine Freundin, eine Ex-Polizistin, eigene Ermittlungen anstellen.
Ich möchte hier eine ganz klare Leseempfehlung aussprechen!
Rezensionen zu diesem Buch bei anderen Blogs
SL Leselust
Sommerleses Bücherkiste
Lesenswertes aus dem Bücherhaus
Der Kultur Blog
LiteraturBlog
tinaliestvor
Literaturgeflüster
Titel | Entführung |
Originaltitel | — |
Autor(in) | Petra Ivanov |
Übersetzer(in) | — |
Verlag* | Unionsverlag |
ISBN | 978-3-293-00547-1 (Print) 978-3-293-31060-5 (EPUB) 978-3-293-41060-2 (Kindle) 978-3-293-61060-6 (Apple) |
Seitenzahl* | 384 |
Erschienen im* | August 2019 |
Genre | Kriminalroman |
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches |
wegen massivem Spam und Botattacken ausstellen!)