© Cover ‘Julia Hofelich Totwasser’: Bastei Lübbe
© Bild Smartphone: Pixabay
Handlung
“Gleich die erste Mandantin ihrer neugegründeten Kanzlei stellt die Anwältin Linn Geller vor gewaltige Probleme: Grace Riccardi ist wild entschlossen, den Mord an ihrem Ehemann zu gestehen – ein gefundenes Fressen für den Staatsanwalt. Linn findet jedoch bei genauerem Hinsehen Hinweise auf die Unschuld ihrer Mandantin. Aber warum sollte eine Unschuldige freiwillig ins Gefängnis gehen? Oder ist Grace Riccardi doch die Mörderin? Linn beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, nicht ahnend, wie nahe sie dem Bösen kommen wird und dass sie selber von der Jägerin zur Gejagten wird …”
(Klappentext)
Die Tragödie des verblassten rosa Striches
Meine Meinung
Vorneweg: das Buch hat einiges zu bieten, das ich an einem guten Krimi zu schätzen weiß – so erweist die Autorin sich in ihrem Debütroman als Meisterin der Winkelzüge.
Der Fall entwickelt im Verlaufe der Handlung viele interessante Verzweigungen und Verästelungen, die Ermittler verrennen sich in unerwartete Sackgassen, das Ganze wird zunehmend komplex, ohne dadurch unglaubwürdig zu werden… Auch die Aufklärung des Falls konnte mich erfreulicherweise überraschen. (Es gibt doch nichts Schlimmeres als einen vorhersehbaren Krimi.) Ich war nahe dran an der Lösung, aber knapp daneben ist auch vorbei!
Pluspunkte gibt es ebenfalls dafür, dass sich die Geschichte sozusagen von hinten aufrollt und dabei aus der Perspektive einer Anwältin erzählt wird statt aus Sicht einer Polizistin oder Detektivin.
An sich liest sich das Buch spannend und unterhaltsam.
(Mehr zum “an sich” gleich.)
Julia Hofelich hat vor einigen Jahren nicht nur selber als Rechtsanwältin gearbeitet, sondern sogar ihre eigene Kanzlei gegründet, genau wie ihre Protagonistin – sicher keine schlechte Grundlage für diesen Krimi; man merkt, dass Frau Hofelich weiß, wovon sie spricht.
Außerdem ist ihr Schreibstil locker und durchaus angenehm. Hier kommt sicher zum Tragen, dass sie neben ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin auch ein Fernstudium zur Drehbuchautorin absolviert hat. Besonders die Dialoge lesen sich knackig und in einem guten Tempo.
Nein, nicht alles ist hundertprozentig glaubwürdig. Manches erschien mir sogar etwas zu konstruiert, aber nicht in einem Ausmaß, der mir normalerweise das Buch verdorben hätte. Deshalb höre ich jetzt damit auf, um den heißen Brei herumzureden:
Was es mir sehr schwer gemacht hat, das Buch wirklich voll und ganz zu mögen, ist Linn Geller, die Protagonistin.
Auch hier möchte ich jedoch mit dem Positiven anfangen: Linn hätte es sich einfach machen können, indem sie das Geständnis ihrer Mandantin hinnimmt, ohne es groß zu hinterfragen, aber sie hat Prinzipien und ist entschlossen, ihnen gerecht zu werden – eine durchaus lobenswerte und sympathische Eigenschaft.
Aber sie hat in einem Ausmaß Schwierigkeiten mit ihrem Selbstbild, dass ich es zunehmend ermüdend und sogar enervierend fand. Wenn so etwas zum Hintergrund eines Charakters gehört, gut. Wenn es hier und dort in die Handlung einfließt, auch gut.
Wenn es aber immer wieder in den Mittelpunkt gestellt wird, ohne dass der Charakter sich merklich weiterentwickelt, dann stört es mich.
Linn hatte vor geraumer Zeit einen schweren Autounfall, der ihr Bein zertrümmerte und ihr Gesicht zerschnitt. Es ist durchaus verständlich, dass so ein Ereignis traumatisiert und den Blick auf das Leben verändert. Aber aufgrund dessen, wie sie in den ersten Kapiteln über sich selber denkt und wie andere Menschen auf sie reagieren, bin ich davon ausgegangen, dass sie im Gesicht vollkommen entstellt ist. Doch dann denkt Linn darüber nach, dass die Narbe inzwischen zu einem ‘dünnen rosa Strich’ verblasst ist – deswegen so viel Selbstzweifel, sogar so viel Selbsthass…?
Wenn es nur um Linns eigene Gedanken ginge, würde ich sagen, sie hat auf Grund des Traumas einfach ein gestörtes Selbstbild, aber es wird ja mehr als einmal angesprochen, wie andere auf sie reagieren.
Es gibt auch andere Dinge, die ich ein wenig fragwürdig fand.
Zum Beispiel, dass Linn sich manchmal sehr übereilt auf unklare Hinweise und unzuverlässige Zeugen stützt, ohne sie groß zu hinterfragen, so dass es mir im Erfolgsfall eher vorkam wie gut geraten. Sie wird als sehr talentierte, sogar herausragende Anwältin dargestellt, da erschien mir dieses Verhalten eher unrealistisch.
Die anderen Charaktere haben mir überwiegend gut gefallen und ich fand sie auch gut geschrieben.
Fazit
Linn Geller ist eine junge Anwältin, die gerade eine eigene Kanzlei gegründet hat und Fälle mit Werbewirksamkeit daher gut gebrauchen kann. Aber ihre Mandantin Grace Ricardi, die sie doch eigentlich nach Kräften verteidigen soll, scheint fest entschlossen, einen Mord zu gestehen, den sie nie im Leben begangen hat…
Der Fall ist interessant, komplex und unterhaltsam, der Schreibstil liest sich sehr angenehm… Es gibt viele Eigenschaften, die für das Buch sprechen – aber mit der Protagonistin, die sich vor Selbsthass quasi zerfleischt, wurde ich leider überhaupt nicht warm.
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Titel | Totwasser |
Originaltitel | — |
Autor(in) | Julia Hofelich |
Übersetzer(in) | — |
Verlag* | Bastei Lübbe |
ISBN* | 9783404178001 |
Seitenzahl* | 320 |
Erschienen am* | 21. Dezember 2018 |
Genre | Kriminalroman |
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches |
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