#Rezension Fritz Rosenfeld: Johanna

Fritz Rosenfeld: Johanna

© Cover ‘Johanna’: Edition Atelier
© Foto: A.M. Gottstein

Handlung

“Johanna hat es von Beginn an nicht leicht im Leben. Die Tochter einer armen Taglöhner-Familie wird früh zur Waise und zum billigsten Tarif einer Pflegemutter übergeben. Zunächst kümmert sich die alte Frau um das Kind, doch dann verfällt sie der Trunksucht und stirbt. Das Haus brennt nieder und Johanna muss selbst sehen, wo sie bleibt. Sie wird Magd am Bauernhof des Bürgermeisters, später Haushaltshilfe bei reichen Leuten in der Stadt, erfährt Misshandlungen und Demütigungen von allen Seiten. Die wenigen lichten Momente versucht Johanna auszukosten, immer mit der Hoffnung, dass ihr Leben doch noch eine glückliche Wendung nimmt.

Ein eindringlicher und realitätsnaher Roman über die ärmste und schwächste soziale Schicht der Zwanzigerjahre und ein Frauenschicksal.”

(Klappentext)

Wer war Fritz Rosenfeld?

Das fragt sich sicher so mancher Leser, denn der Autor ist im Fluss der Zeit weitgehend untergegangen – dabei war er als scharfer Beobachter der Verhältnisse ein wichtiger Zeuge seiner Epoche.

Fritz Rosenfeld

Er wurde am 5. Dezember 1902 als Jüngster von drei Söhnen in eine jüdische Familie ungarisch-deutschen Ursprungs in Wien geboren.

Schon als Student der Kunst- und Literaturgeschichte schrieb er für die Zeitschrift “Bildungsarbeit”. Rasch machte er sich als Vielschreiber in den verschiedensten Disziplinen einen Namen: als Schriftsteller, Übersetzer, Literatur- und Filmkritiker. Später wurde er zum Mitbegründer eines politischen motivierten Agit-Prop-Theaters, schrieb für die Arbeiter-Zeitung und leitete zeitweise deren Feuilleton, bis zum Verbot der Zeitung im Februar 1934.

Zwischen Oktober und Dezember 1924 erschien “Johanna” als Fortsetzungsroman in der Zeitung ‘Salzburger Wacht’ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.

Nach Machtergreifung des Nationalsozialismus sparte Rosenfeld nicht mit Kritik und scharfsinnigen Beobachtungen, wodurch er sich einer doppelten Bedrohung aussetzte: als Jude und als Dissident. 1934 emigrierte er nach Prag, wo er als Lektor, Dramaturg und Theaterkritiker tätig war.

1939 siedelte er nach England aus. 1940 war er für ein halbes Jahr als „feindlicher Ausländer“ auf der Isle of Man interniert und arbeitete anschließend erst in einer Fabrik, dann für den Abhördienst für Sendungen in tschechischer Sprache der BBC.

Unter dem Pseudonym ‘Friedrich Feld’ oder auch ‘Fritz Feld’ schrieb er sehr erfolgreich Kinder- und Jugendbücher, Theaterstücke und Hörspiele. Ab 1946 arbeitete er als Übersetzer für die Nachrichtenagentur Reuters.

1948 erhielt er die englische Staatsbürgerschaft.

Er starb am 27. Dezember 1987 in Bexhill, East Sussex.

Meine Gedanken zu “Johanna”:

Der Fokus liegt deutlich auf der Lebenswirklichkeit der Armen, Unterdrückten – insbesondere der täglichen Realität der ungebildeten Frauen der unteren Schichten. Der erst knapp 20-jährige Rosenfeld zeigte hier ein starkes Interesse und Gespür für soziale Konflikte, die er ungeschönt und drastisch wiedergibt.

“Johanna” zeichnet das bedrückende Bild einer Frau, die ohne eigene Schuld zunehmend verelendet und in der Gesellschaft immer weiter absteigt.

Das ist schwer zu lesen – da muss man oft tief durchatmen und das Buch erstmal zur Seite legen. Man wünscht sich, dass Johanna Fuß fasst, dass ihr endlich, endlich Gerechtigkeit widerfährt, und doch wird aus dem Abstieg ein ungebremster Absturz, mit nur wenigen Momenten des Trostes und der Geborgenheit.

Sie wird ausgenutzt, gequält, verleugnet, belogen, geschändet – ihr Leben wird zur bloßen Existenz, während die Hoffnung immer mehr erlischt. Wenn die Justiz doch mal eingreift, dann als Klassenjustiz mit Vorverurteilung. Johanna zählt nicht; als Mitglied der unteren Schicht ist sie Wegwerfware, deswegen wird ihre Perspektive nicht gehört.

Ihr Leben ist ein Mahlstrom der Ungerechtigkeiten.

Rosenfeld schildert das alles ungeschönt, mildert nicht die Brutalität, die Johanna erfährt.

Man will kaum glauben, dass ein Mensch, der ohnehin nichts sein eigen nennt, noch mehr verlieren kann. Besonders an die Nieren geht der Gedanke, dass Johanna zwar von Rosenfeld erfunden wurde, dass es jedoch zu der Zeit sicher unzählige Johannas gab.

Ich fühlte mich an Charles Dickens erinnert, der in ähnlichen Formaten, also als Fortsetzungsroman, die Missstände seiner Zeit ebenfalls sozialkritisch in den Fokus stellte.

Stil, Sprache und Inhalt zeigen eine Reife, die für einen so jungen Autor überrascht.

Die Sprache ist zwar schlicht, vielleicht mit Hinblick auf möglicherweise weniger gebildete Leser der Zeitung, doch ungemein ausdrucksstark.

Ich konnte mich kaum lösen von der Geschichte, obwohl die Lektüre beleibe keine amüsante, erfreuliche ist. Man spürt, dass der Roman die Missstände anprangern, dass er erschüttern und aufrütteln soll – und wie soll er das erreichen, ohne den Leser das Elend und den Schmerz spüren zu lassen? Ich war erschüttert, ich fühlte mich aufgerüttelt, und vielleicht dauerte es deswegen mehrere Wochen, bis ich diese Rezension schrieb.

Fazit:

Lieblingsbuch

Johanna wird als Kind armer Leute geboren und schon sehr jung zur Waise. Es beginnt ein Leben voller Armut, Misshandlung und Entbehrung – sie wird allerseits ausgenutzt und geschmäht, ihr Wert misst sich immer nur an ihrem Nutzen als billige Arbeitskraft.

Der Roman erschien zunächst im Jahr 1924 als Fortsetzungsroman in der Arbeiter-Zeitung. Der gerade mal zwanzigjährige Autor prangerte die Umstände, in der Frauen der unteren Schichten leben mussten, darin scharfsichtig und schonungslos an.

Da wird nichts geschönt, da kann einem beim Lesen schon mal ganz elend vor Mitgefühl werden – dennoch empfehle ich das Buch, da es einen bestechend authentischen Blick in die Lebenswirklichkeit der Zeit bietet.

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TitelJohanna
Originaltitel
Autor(in)Fritz Rosenfeld
Übersetzer(in)
Verlag*Edition Atelier
ISBN / ASIN978-3-99065-029-5 (Hardcover)
978-3-99065-034-9 (eBook)
Seitenzahl*176
Erschienen im** Februar 2020 (diese Ausgabe)
* Zwischen Oktober und Dezember 1924 (Erstaugabe als Fortsetzungsroman)
GenreZeitgeschichtliche Literatur
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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