#Lesetagebuch KW37 2022

Lesetagebuch

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Zuletzt rezensiert

Marie Gamillscheg: Aufruhr der MeerestiereAnna Kim: Geschichte eines KindesYael Inokai: Ein simpler EingriffAnna Yeliz Schentke: Kangal

Marie Gamillscheg: Aufruhr der Meerestiere

Luise träumt von diesem Leben im Schwarm, von der Auflösung der individuellen Form. Da kann man Parallelen ziehen zu ihrer Essstörung, zu ihrer Angst vor dem Tod, zu ihrem Wunsch, vollends zu verschwinden. Für Luise existiert scheinbar nichts zwischen Selbstaufgabe und totaler Einsamkeit. In meinen Augen geht es um Körperlichkeit, um Körperbewusstsein, aber auch um Identität und Individualität darüber hinaus. Diese Themen verweben sich mit Luises gestörter Beziehung zu ihrer Familie, vor allem dem Vater.

Dies ist auch ein Buch über die Klimakatastrophe, das unbedingt. Über die Art, wie der Mensch sich als Maßstab aller Dinge sieht, das auch. Aber für mich steht Luises gestörtes Verhältnis zur Welt und zu sich selbst im Zentrum von allem. Viel wird nur angedeutet, und du als Leser:in bekommst es genauso wenig zu fassen wie einen einzelnen Tropfen Gift im weiten stürmischen Meer. Wir sehen den Sturm, also die Auswirkungen im Leben der Protagonistin, aber nicht das Gift, die konkrete Verletzung, die dahintersteht.

[ Meine ganze Rezension zu “Aufruhr der Meerestiere” ]

“Aufruhr der Meerestiere” ist das Patenbuch der Buchpreisbloggerin Imke Weiter – The Female Reader
Blog: www.thefemalereader.com 
Instagram: @the_female_reader

Anna Kim: Geschichte eines Kindes

Das Buch hat mich auf jeden Fall abgeholt, ich war voll und ganz gefesselt von der Geschichte und ihren Bedeutungsebenen. Diese bieten einen neuen Blickwinkel auf das Thema Rassismus – mal intensiv und unmittelbar geschildert, mal aus der kalten Distanz der Bürokratie gesehen. Über verschiedene Protagonistinnen kommt auch eine weibliche Sicht ins Spiel, die unter anderem das Thema ‘Mutterschaft in einem rassistischen Kontext’ in den Fokus stellt, während durch eine dritte Perspektive auch das Thema ‘Rassenlehre’ zur Sprache kommt.

Daniel, das titelgebende Kind, wird im Laufe des Buches erwachsen, bekommt selber jedoch keine Erzählstimme – die in seinem Leben so prävalente Fremdbestimmung setzt sich fort. Es wird über ihn gesprochen, nicht mit ihm. Obwohl ich verstehen kann, warum das erzählerisch Sinn macht, fehlt mir seine Perspektive doch sehr. Das ein oder andere Mal hatte ich auch den Eindruck, es gebe hier im Grunde genug Stoff für zwei oder drei Bücher. Verschiedene Themen rauben sich gegenseitig etwas die Luft, weil sie jeweils sehr viel Raum einnehmen.

Trotz dieser Kritikpunkte ist dies meines Erachtens ein wichtiges Buch, das die Nominierung für den Deutschen Buchpreis mehr als verdient hat.

[ Meine ganze Rezension zu “Geschichte eines Kindes” ]

“Geschichte eines Kindes” ist das Patenbuch der Buchpreisbloggerin Anne-Sophie Hoffmann – anne.liest.buecher
Blog: www.anne-liest-buecher.de 
Instagram: @anne.liest.buecher

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff

Yael Inokai führt Leser:innen mit klaren, leisen Worten durch die Geschichte. Worte, die niemals belehren. Worte, die weder beschönigen noch die Tragödien für den Schockfaktor ausschlachten. Das haben sie gar nicht nötig, denn die Wucht und Wirkung der Geschichte entfaltet sich gerade in den Zwischentönen, im Unausgesprochenen. “Ein simpler Eingriff” ist ein wunderbarer Roman, der dich nachdenklich zurücklässt – und mit dem emotionalen Echo, der inneren Resonanz der zum Schweigen gebrachten Wut.

Die Subtilität, mit der Yael Inokai spricht, mit der sie Leser:innen an die Hand nimmt, tut der Aussagekraft der Geschichte keinen Abbruch. In ihren Worten schwingt das Ungesagte mit; da hörst du das leise Summen der gesellschaftlichen Normen und Anforderungen, spürst das Vibrieren der Ungerechtigkeiten, der soziokulturellen Einstellungsmuster. Der ‘simple Eingriff’ bringt Frauen zum Schweigen – literarische Schwestern all der zum Schweigen gebrachten Frauen in unserer Realität. Meines Empfindens gibt die Autorin ihnen stellvertretend eine Stimme.

[ Meine ganze Rezension zu “Ein simpler Eingriff” ]

“Ein simpler Eingriff” ist das Patenbuch der Buchpreisbloggerin Karin Lipski – little words
Blog: www.book-up-your-life.blogspot.com
Instagram: @karinlipski
Twitter: @Karin__L

Anna Yeliz Schentke: Kangal

Die Charaktere in »Kangal« blicken aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf das, was nach dem Putschversuch des Militärs im Jahr 2016 in der Türkei passiert. Anna Yeliz Schentke erzählt in ungemein eindringlichen Worten und mit messerscharfer Präzision davon, wie Menschen durch ihre Angst kontrolliert bzw. instrumentalisiert werden; die geschickt konstruierte Geschichte rast durch die kurzen Kapitel, in fieberhafter Intensität, und verliert dennoch nicht den Blick für die Graustufen. Auf kleinstem Raum gibt sie allen Charakteren eine Stimme für ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihre Bedenken, ihre Wünsche – ihre ganz reale Bedrohung.

Wer hat Recht, wer hat Unrecht, so einfach macht es die Autorin ihren Leser:innen nicht. Aber dieses beeindruckende Debüt bietet auf jeden Fall einen differenzierten Einblick in die Lebenswirklichkeit der Menschen, deren Existenz von diesem Putschversuch auf die eine oder die andere Art verändert wurden. Hier wird niemand klein geredet oder lächerlich gemacht, denn auch Unverständnis oder Unwissen haben ihre Wurzeln in einem System, das Wissen und Selbstbestimmung auf perfide Art und Weise beschneidet.

[ Meine ganze Rezension zu “Kangal” ]

“Kangal” ist das Patenbuch der Buchpreisblogger Björn Brolewski & Katharina Hößler
Instagram: @_kalliopeia

Zuletzt beendet

(Rezension folgt noch)

Jochen Schmidt: PhloxCarl-Christian Elze: Freudenberg

Jochen Schmidt: Phlox

Mein Patenbuch! Zum einen ist es ein materiell hochwertiges Buch, mit einem wunderbar detaillierten Cover und schönen Vignetten. Aber auch inhaltlich ist es ein außergewöhnlicher Roman, der zunehmend vielschichtiger wird.

Richard, der zu seinem Bedauern erwachsene Protagonist, versucht festzuhalten an seiner glücklichen Kindheit – und doch sieht er die Bruchstellen und die Abgründe. Er ist intelligent und ehrlich genug, um sich einzugestehen: Diese Person, die für mich eine Lichtgestalt in meiner Kindheit war, hat möglicherweise auch Fragwürdiges oder gar Schlechtes in ihrem Leben gedacht oder getan. Und das eine macht das andere nicht weniger wahr. Seine Kindheitsidylle ist letztendlich real und daher auch so problembehaftet wie alles im Leben.

Und diese Dualität spiegelt sich auch in anderen Lebensbereichen. Er liebt seine Frau, seine Frau liebt ihn, und doch reiben sie sich auf, an mal grundlegenden, mal scheinbar trivialen Differenzen. Sie versuchen ihren Kindern Raum zu geben, und diese Freiheit zugleich in die ‘richtigen’ Bahnen zu lenken. Mal ging mir das Herz auf, mal spürte ich darin Richards wiederkehrende Depression als Phantomschmerz. Und so weiter. Dies, aber auch das. Ja, aber auch nein.

Dennoch ist es ein Roman, der immer durchzogen ist von einem feinen Humor. Kintsugi, der Humor kittet die Scherben der Idylle, und das Ergebnis ist ein glitzerndes Stück Literatur

Carl-Christian Elze: Freudenberg

Nachdem ich auf Instagram erwähnte, dass ich davon sehr angetan war, fragte mich Marc von “Lesen macht glücklich”: »Was hat dir an Freudenberg so gefallen?« Hier meine Antwort:

Ich glaube, es war vor allem dieses Schwebende – was ist Realität, was Traum, was sind nur Erinnerungen oder Gedankenexperimente. Der Erzähler ist unzuverlässig, im Endeffekt löst sich die Geschichte meines Erachtens dadurch von einer schlichten Abfolge von Geschehnissen. Die Themen fand ich umso eindringlicher. Diese Haltlosigkeit von Freudenberg in einem Leben ohne echte Ziele, dieser Überdruss, diese Verachtung der Lebensmodelle seiner Eltern, ohne Entwurf einer Alternative. Was gibt den Menschen noch Sinn in einer übersättigten Welt? Aber am eindringlichsten fand ich, wie Freudenberg nach und nach zerbricht an einer Schuld, die er sich erst ganz am Schluss eingesteht. Er hat den Jungen nicht getötet, aber dessen Leiche für seine eigenen selbstsüchtigen Zwecke benutzt – dabei gar nicht in Betracht gezogen, wie das andere Menschen emotional verletzen muss. Auch hier wieder der Gedanke, dass Freudenberg das Resultat einer übersättigten Welt ist, einer egoistischen Welt, in der Gemeinschaft verloren geht und die Menschen sich selber immer mehr reduzieren auf das ICH, ICH, ICH.

“Freudenberg” ist das Patenbuch der Buchpreisblogger von We read Indie
Blog: www.readindie.wordpress.com
Facebook: We read Indie
Instagram: @wereadindie
Twitter: @WeReadIndie

Aktuelle Lektüre

Kim de l'Horizon: Blutbuch

Kim de l’Horizon: Blutbuch

Inzwischen steht dieses Buch auf der Shortlist, und ich bin sehr, sehr glücklich darüber. Habe es zu etwa zwei Dritteln durch und komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus: Die Sprache ist so wahnsinnig innovativ, findet ganz neue Perspektiven und eine ganz neue Inklusion abseits binärer Gender-Grenzen. Das ist sprachlich oft wunderschön, inhaltlich mal frech, laut und explizit, mal leise und nachdenklich. Besonders in den Passagen aus Kindersicht spürt mensch, wie schwierig es ist, zu dir selbst zu finden, wenn die Sprache für dich keine Worte hat.

“Blutbuch” ist das Patenbuch der Buchpreisbloggerin Luisa Kiel von itsaboutgoodbooks
Instagram: @itsaboutgoodbooks

Letzter Blogbeitrag:

(abgesehen von den bereits verlinkten Rezensionen)

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Kategorie: Lesetagebuch

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