[ Lesegelaber ] Über den Hype

Buch Hype

Das Wort “Hype” hört man als Buchblogger oder Booktuber ständig. Meist ist es nicht unbedingt positiv gemeint, sondern degradiert das unglückliche Buch zur schnöden Massenware. Das Feuilleton rümpft die Nase, der seriöse Literaturkritiker packt es mit spitzen Fingern nicht an – oder höchstens, um es mit gepflegter Verachtung in der Luft zu zerreißen

Ob gerechtfertigt oder nicht, auf einmal wird das Buch schief angesehen. Gehaltvolles Lesefutter, oder doch eher literarische Frittenbude? Der selbstbewusste Leser schert sich nicht drum, der verschämte Leser tauscht den Schutzumschlag mit dem von Han Kangs “Die Vegetarierin”.

Wie entsteht so ein Hype überhaupt?

Tja, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. In den USA bestellen Buchhandlungen zum Beispiel – hektisch und in großen Mengen – alle Bücher, die Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey empfiehlt. Marcel Reich-Ranicki rief zu seinen Lebzeiten in deutschsprachigen Buchhandlungen ähnliche Reaktionen hervor. Ulkigerweise wurden dabei gerade die Bücher besonders gut verkauft, die er in seiner charakteristischen, geistreich-bissigen Art verriss!

Manchmal reicht ein einziger Nieser, um eine Epidemie auszulösen. (Oh, diese Metapher…)

Oft ist es einfach geschicktes Marketing des Verlags. Gelegentlich empfiehlt eine geliebte Autorin öffentlich die Werke einer Kollegin, mit glühender Inbrunst. Dabei handelt es sich dann um die sogenannte “Kreuzkontamination”: die Übertragung eines Hypes von einem Autor auf einen anderen. Bei großem Erfolg eines Buches kann sich der Hype sogar auf das ganze Genre ausbreiten. (Siehe “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” oder “Die Tribute von Panem”.)

In den letzten Jahren sind Buchblogs in gewissem Maße ebenfalls zu einer Macht geworden, die Hypes hervorrufen oder zumindest verstärken kann – was wiederum schiefe Seitenblicke des Feuilletons hervorruft oder zumindest verstärkt. Bei Buchbloggern kann das Kaufen eines gehypten Buches außerdem ein wohliges Gefühl der Kameradschaft und Zugehörigkeit mit der Community auslösen.

Egal, wo er herkommt, der Hype – auf einmal sieht man überall das gleiche Buch. Überall.

Videos, Hauls, Rezensionen, Blogtouren, Leserunden…

Ü-BER-ALL.

Hannibal Lecter sagt in “Das Schweigen der Lämmer” zu Clarice Starling: “Wir beginnen das zu begehren, was wir jeden Tag sehen!”

Ich würde ihm da nur bedingt zustimmen. Manchmal sind wir auch tödlich genervt von dem, was wir jeden Tag sehen. Aber das kommt ganz drauf an. Denn wenn der Hype eine Krankheit ist, dann eine mit vielen möglichen Symptomen und Krankheitsverläufen. (Manche Leser sind sogar komplett immun dagegen.)

Zwei mögliche Verläufe

I.)

Der ahnungslose Leser kauft das betroffene Buch vor dem Hype oder zu einer Zeit, da der Hype gerade mal zart die Fühler ausstreckt. Der Leser hat das Buch allerhöchstens ein paar Mal gesehen, in den allerersten Hauls und Buchbesprechungen – gerade genug, um sein Interesse zu wecken.

Im besten Fall liest er das Buch sofort und ist begeistert. Im weniger guten Fall liest er das Buch sofort und bereut den Kauf. Aber das Wichtigste: die Tatsache, dass es sich um ein Hype-Buch handelt, ist für ihn nahezu bedeutungslos. Er hätte das Buch wahrscheinlich sowieso gekauft und geliebt bzw. gehasst.

Gefährlich wird der Hype für diesen Leser erst dann, wenn er das Buch ungelesen liegen lässt und sich dem Erreger damit zu lange aussetzt. Nämlich solange, bis das Buch dann wirklich überall ist. In dem Fall geht es weiter wie bei Verlauf II.

II.)

Der Leser hat sich durch andauerndes Konsumieren von Buchblogs oder Booktube-Kanälen mit dem Hype infiziert und erst unter dem Einfluss des Erregers das Buch gekauft (oder das Buch nach dem Kauf zu lange liegenlassen, siehe Verlauf I).

Wenn er jetzt entschlossen genug handelt und das Buch liest, kann er das Schlimmste vielleicht noch verhindern! Das gelingt in der Regel nur dann, wenn ein tiefes, echtes Interesse an Genre und Thema besteht, aber sogar dann kann der Hype dazu führen, dass dieses Interesse immer mehr abstumpft und schließlich einer entnervten Übersättigung weicht.

Bei fortschreitender Infektion wächst mit jedem Tag die Gefahr, dass a) der Leser dauerhaft jedes Interesse an dem Buch verliert, welches dann zur sogenannten SUB-Leiche wird, oder b) es ihn nur noch enttäuschen kann, weil die Erwartungen ins Absurde übersteigert sind. Nur in den wenigsten Fällen gelingt die Heilung ohne Amputation des infizierten Buchs.

…aber jetzt mal Spaß beiseite.

In meinen Augen sind Hypes für Buchblogger etwas ganz Natürliches. Denn wir sind doch alle in diesem Hobby, weil Lesen für uns eine Leidenschaft ist, über die wir uns austauschen wollen! Wenn uns ein Buch begeistert, dann brennt uns das unter den Nägeln und wir wollen am liebsten so viele Leser wie möglich davon überzeugen. Ganz normal. (Ein bisschen sind wir da wie die Borg. Widerstand ist zwecklos.)

Ob die Verlage das jetzt ausnutzen oder nicht, da kann man sich drüber streiten und das ist auch ein Thema für sich, aber Tatsache ist einfach, dass Begeisterung wiederum Begeisterung hervorruft. Es liegt in der menschlichen Natur, sich an der Meinung von Gleichgesinnten zu orientieren. Früher waren das Familienmitglieder und eine relative geringe Zahl an ausgesuchten Freunden, im Zeitalter des Internets fühlt man sich als Buchblogger schon halbwegs seelenverwandt mit jedem, der mal das Hashtag #ichliebelesen verwendet hat. Ok, ich übertreibe, aber ihr wisst, was ich meine…

Um Hypes zuverlässig zu vermeiden, müssten wir wohl unsere Passion fürs Lesen drosseln oder zumindest im stillen Kämmerlein ausleben – mit viel Selbstbeherrschung bzw. ohne Internetzugang. Und damit würden wir uns um etwas bringen, was vielen von uns viel Freude bereitet.

Aber auch wenn wir Hypes nicht verhindern können (oder wollen), können wir doch zumindest bewusster darauf achten, dass wir uns davon nicht überrollen lassen. Uns vor dem Kauf einfach mal fragen: Was genau interessiert mich eigentlich an diesem Buch? Was erwarte ich, was erhoffe ich mir davon?

Manchmal hilft es schon, wenn man nicht direkt in die Buchhandlung rennt oder auf “Kaufen” klickt, sondern es erstmal sacken lässt und abwartet, ob man in einer Woche oder sogar einem Monat immer noch Lust auf das Buch hat. Ich muss zugeben, das ist etwas, das mir selber sehr schwerfällt, denn ich bin ein impulsiver Mensch mit peinlichem Hang zum Konsumrausch. Aber ich arbeite dran.

Wie seht ihr das?

 

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