»Echtzeitalter« von Tonio Schachinger

»Echtzeitalter« von Tonio Schachinger

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Unbezahlte #werbung:
Ein Rezensionsexemplar des Buches wurde mir von NetGalley im Auftrag des Verlags zur Verfügung gestellt.

Verlag: Rowohlt

Thomas Mann, E-Sport, Coming of Age

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Sprache ist ein zentrales Thema in diesem Buch, und doch ist da eine tiefgehende Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Worte werden gesprochen, geflüstert, gebrüllt. Worte fallen. Worte fallen in eine unüberbrückbare Kluft, sammeln sich an deren Grund wie der Schnee von gestern.

Manche, wie der despotische Klassenlehrer Dolinar, sehen dies als Affront, als respektlose Verweigerung der Jugend, alte Werte und alte Machtverhältnisse anzuerkennen. Andere, wie Tills Mutter, bemühen sich darum, eine Verbindung herzustellen, müssen jedoch feststellen, dass sie zur Lebenswelt ihrer Kinder keinen Zugang finden, weil sie deren Sprache nicht sprechen. Denn für die ist Sprache etwas Fließendes: eine Mischung aus Deutsch, Englisch und Wortneuschöpfungen, die die Grenzen der eigenen Lebensrealität abstecken.

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«…plötzlich stehen sie alle und schubsen sich, und ihr Lachen, ein aufgemascherltes, in tiefster Verzweiflung wurzelndes Gelächter, eine tropische, olympische Hysterie, bricht sich Bahn, trägt sie minutenlang dahin, spannt ihre Bauchmuskeln und implodiert in dem Moment, als der Dolinar die Tür öffnet: «Habt ihr jetzt völlig den Verstand verloren?»

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Dies bringt uns auch zum Thema ‘Literatur und deren Bedeutung’:

Dolinar treibt seinen Schüler:innen die Liebe zur Literatur eher aus, als sie zu fördern; bei ihm wird jedes noch so bedeutungsvolle Werk zu einem starren, toten Gebilde, jede Interpretation zum Grabraub. Literatur ist nichts, was man selber entdeckt. Literatur ist nichts, was man im Kontext des eigenen Lebens neu interpretiert. Jeglicher Nachhall wird erstickt, indem lebendige Worte reduziert werde auf vorgegebene Interpretationsschemata.

Wer in Dolinars Klasse doch einmal aufhorcht und überrascht feststellt, dass ein Klassiker durchaus Bedeutung fürs eigene Leben hat, wird schnell zurechtgestutzt. Denn das tut der Dolinar gerne: Jede Gelegenheit, zu höhnen, zu demütigen, geifernd zu beschimpfen, wird genutzt.

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«Hätten sie Gramsci gelesen, dann wüssten sie auch, dass der kollektive Moment zwischen ihnen einen revolutionären Funken in sich trug. Sie wüssten, dass es ihre vollkommene Hoffnungslosigkeit war, die sie kurz davon befreite, auf Zugeständnisse durch ihren Unterdrücker zu hoffen; dass sie nie freier waren als in diesen wenigen Sekunden.»

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Der Kontrast zwischen Tills Aufstieg im E-Sport und seiner konstanten Herabwürdigung in der elitären Welt des Internats wird er zum Symbol für ein weiteres Schlüsselthema des Buches: den Erwartungsdruck, dem junge Menschen in einer prägenden Phase ihres Lebens ausgesetzt sind. Hier bringt der Autor auch die Themen Klassismus und Privilegien aufs Tapet, und zerpflückt ganz nebenher die Dünkel der Österreichischen Gesellschaft.

Tonio Schachinger findet den perfekten Schreibstil für diese Geschichte: unterhaltsam und doch markerschütternd prägnant.

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