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Interview mit Jacqueline Flory, Teil 1
Vor ein paar Tagen habe ich euch das Buch “INVICTA – Feministisches (Über-)Leben auf der Flucht” vorgestellt und in diesem Beitrag schon über den Verein Zeltschule e.V. und die Invicta-Kampagne gesprochen. Und heute möchte ich mit der Gründerin dieser Initiativen sprechen, der Münchnerin Jacqueline Flory.
Wer sich jetzt erstmal den Beitrag zum Buch durchlesen will, findet den Link hier:
[ Weltfrauentag ] INVICTA – Feministisches (Über-)Leben auf der Flucht
Bevor ich die Bühne freiräume und sie selber zu Wort kommen lasse, möchte ich meinen Respekt aussprechen für die immense Leistung, das alles ins Rollen gebracht zu haben. Jacqueline, ihre Zeltschulen und zahlreiche Projekte, die es ohne sie nicht gäbe, leisten unverzichtbare Friedensarbeit in Syrien und im Libanon.
Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen! Erstmal möchte ich Ihnen gerne ein paar grundlegende Fragen zu Ihrer Initiative stellen.
Was ist eine Zeltschule eigentlich und was will sie bewirken?
Wir sind ein gemeinnütziger Verein und bauen Zeltschulen für syrische Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern in der Bekaa-Ebene im Libanon und in Syrien. Im libanesisch-syrischen Grenzgebiet leben hunderttausende syrischer Flüchtlinge am Existenzminimum in provisorischen Zeltstädten, ohne Zugang zu Bildung.
In Syrien selbst ziehen mehrere Millionen Binnenflüchtlinge seit Jahren wie Gejagte durch ihr eigenes Land. Für hunderttausende Kinder bedeutet das eine Kindheit in ständiger Bewegung, ohne Zuhause, ohne Sicherheit – und ohne Bildung. Die Generation, die nach dem Krieg ihr Land wiederaufbauen soll, wächst im Analphabetismus auf, ohne Perspektive und als leichte Opfer für extremistische Gruppierungen.
Wir unterstützen die Kinder und ihre Familien, um gemeinsam eine sichere und selbstbestimmte Perspektive für ihre Zukunft zu schaffen. Unser Hauptziel ist es Flüchtlingen zu ermöglichen, das Kriegsende in ihrer eigenen Region abzuwarten, ohne eine lebensgefährliche Flucht nach Europa auf sich nehmen zu müssen.
Wann und wie entstand die Idee für dieses Projekt?
Als 2015 Tausende von syrischen Flüchtlingen am Münchener Hauptbahnhof ankamen, beschloss ich eine Initiative zu starten, die den Menschen vor Ort in ihrer Region hilft und ihnen somit eine lebensgefährliche Flucht in das vermeintlich sichere Europa erspart. Aus der Idee wurde ein Projekt, aus dem Projekt ein Verein mit inzwischen über 1.000 Mitgliedern.
Es nervt mich, wenn Leute resignieren und sagen man könne nichts tun. Man kann immer etwas tun!
Wer unterrichtet in den Zeltschulen – sind das Freiwillige aus Deutschland oder Lehrer aus der jeweiligen Zeltstadt?
Die Kinder werden ausschließlich von im Camp lebenden Lehrern unterrichtet. Das ist für die Kinder gut, denn die Lehrer teilen die traumatisierenden Fluchterfahrungen der Kinder. Und für die Lehrer ist es eine sinnstiftende Beschäftigung. Wir unterrichten nach syrischem Curriculum und nehmen den Kindern jährlich Prüfungen ab, damit sie einen bestätigten Abschluss haben.
Wie viele Zeltschulen gibt es inzwischen und wie viele Schulkinder besuchen sie derzeit?
Inzwischen gibt es 30 Zeltschulen, 15 im Libanon und 15 in Syrien. Wir unterrichten täglich ca. 7.000 Kinder. 25.000 Menschen versorge wir mit dem Lebensnotwendigsten.
Das Projekt hilft den Familien der Kinder auch über den Schulunterricht hinaus?
Ja, wir bauen nicht nur Schulen, sondern versorgen die Familien auch mit Lebensmitteln und übernehmen die medizinische Versorgung der Kinder.
Im Libanon dürfen die erwachsenen Syrerinnen und Syrer kein Geld verdienen, vielen bleibt nur ein Ausweg, um nicht zu verhungern: Sie müssen ihre Kinder zum Arbeiten schicken, denn Kinderarbeit ist eine Grauzone, die nicht geahndet wird. Damit die Kinder zur Schule gehen können, versorgen wir alle in der Familie mit Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten, Kleidung und Feuerholz.
Sind Sie selbst manchmal vor Ort tätig?
Ich fahre regelmäßig mit meinen Kindern in den bayrischen Schulferien in den Libanon und kümmere mich vor Ort um die Verteilung von Hilfsgütern, spreche mit den Lehrern, Familien und Kindern, aber auch den Grundbesitzern und Lebensmittelhändlern und eröffne, wenn es geht neue Schulen.
Wie ist die Situation dort für Sie – haben Sie manchmal das Gefühl, sich in Gefahr zu begeben?
Nein. Meine größte Sorge ist, dass wir irgendwann die Schulen nicht mehr durch Spendengelder finanzieren können. Ansonsten sorge ich mich nicht vor möglichen Gefahren.
Wie hat Corona die Situation verändert? Mussten Schulen deswegen schließen?
Ja, wir mussten im libanesischen Lockdown auch unsere Zeltschulen schließen. Bereits im März 2020 haben wir einen großen Spendenaufruf für Corona-Maßnahmen gestartet: So konnten wir zügig Seifen, Desinfektionsmittel und Masken verteilen und die Schulen desinfizieren. Im Lockdown müssen die Kinder in den Zelten bleiben und die Lehrer legen Arbeitsaufträge vor die Zelte. „Home Schooling“ heißt bei uns allerdings „Tent Schooling“ und ist sehr belastend für die Kinder, die in kalten Zelten ohne Möbel, Computer und Spielsachen auf dem Boden ihre Aufgaben erledigen müssen.
Damit möchte ich den ersten Teil des Interviews hier abschließen.
Übermorgen folgt der zweite Teil mit Fragen zum Invicta-Programm und dessen diverse Bildungs- und Hilfsangeboten.
Hier kommen noch ein paar wichtige Links für Interessierte:
[Link] Das Buch “INVICTA – Feministisches (Über-)Leben auf der Flucht”
[Link] zeltschule.org
[Link] Spendenmöglichekeiten
[Link] Der Onlineshop der Zeltschule
[Link] Das Facebook der Zeltschule
[Link] Das Twitter der Zeltschule
[Link] Das Instagram der Zeltschule
wegen massivem Spam und Botattacken ausstellen!)