#Rezension Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand

Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand

Ein Rezensionsexemplar des Buches wurde mir von Netgalley im Auftrag des Verlags zur Verfügung gestellt.

© Cover ‘Die Dame mit der bemalten Hand’: Berenberg-Verlag
© Bild Smartphone: Pixabay

Handlung

“Bombay, 1764. Indien stand nicht auf dem Reiseplan und Elephanta, diese struppige Insel voller ­Schlangen und Ziegen und Höhlen mit den seltsamen Figuren an den Wänden, schon gar nicht. Doch als Forschungs­reisenden in Sachen »biblischer Klarheit« zieht es einen eben an die merkwürdigsten Orte. Carsten Niebuhr aus dem Bremischen ist hier gestrandet, obwohl er doch in Arabien sein sollte. Ebenso Meis­ter Musa, persischer Astrolabienbauer aus Jaipur, obwohl er doch in Mekka sein wollte. Man spricht leidlich Arabisch miteinander, genug, um die paar Tage bis zu ihrer Rettung gemeinsam herumzubringen. Um sich öst-westlich misszuverstehen und freundlich über Sternbilder zu streiten (denn wo der eine eine Frau erkennt, sieht der andere lediglich deren bemalte Hand). Es könnte übrigens alles auch ein Fiebertraum gewesen sein. Doch das steht in den Sternen.”

(Klappentext)

»Großmächtiger Ruderschlag im präzisen Jetzt!«

Dieses Buch, damit möchte ich gerne anfangen, macht einen Heidenspaß – wobei sich natürlich die Frage stellt, wer denn nun der Heide ist bei dieser Begegnung von Orient und Okzident. Hier treffen zwei Kulturkreise aufeinander, und das ist zum Teil historisch verbürgt, zum Teil in farbenfroher, detailverliebter Mär gar prächtig zusammengesponnen. Zusammen ergibt das eine Geschichte, die sich liest wie etwas aus 1001 Nacht und für deren Wahrheitsgehalt man doch insgeheim die Hand ins Feuer legen will, weil diese Begegnung so wunderbar und kostbar ist.

Bei aller Fabulierlust ist der Roman jedoch keineswegs unnötig ausschweifend – man kommt auf der letzten Seite an und staunt: nur 168 Seiten, tatsächlich? Wo die Erzählung ausschweift, tut sie das mit Bedacht und feinem Humor.

Treffen sich zwei Männer auf Abwegen…

Carsten Niebuhr gab es wirklich, und er ging im Jahr 1761 tatsächlich als Mathematicus und Astronomus auf eine Forschungsreise, die vom Göttinger Theologen Johann David Michaelis auf die Beine gestellt und vom dänischen König finanziert wurde. Seine Aufgabe war es, den Wahrheitsgehalt biblischer Texte empirisch zu überprüfen – wie tief teilte zum Beispiel die Ebbe das Rote Meer?

Zwei Dänen, zwei Deutsche und zwei Schweden wurden losgeschickt, doch nur Niebuhr sollte lebend zurückkehren. Die anderen Gelehrten starben auf der Reise nach und nach am Sumpffieber und vererbten Niebuhr ihre Fachgebiete: Sprachwissenschaft, Naturkunde, Zeichenkunst und Medizin, und so wurde aus dem Mathematiker notgedrungen ein Meister vieler Lehren.

Nunmehr war von unserer zahlreichen Gesellschaft Niemand mehr übrig als ich allein.«.

aus Niebuhr’s Reisebericht

Christine Wunnicke leiht sich den echten Carsten Niebuhr aus und lässt ihn auf nicht in der Realität verwurzelte Abwege geraten – genauer gesagt auf die Insel Gharapuri vor Manbai, heute Mumbai. Dort befinden sich die Höhlen von Elephanta, eine Tempelanlage, die inzwischen zum Weltkulturerbe gehört, und in diesem Heiligtum erliegt Niebuhr fast ebenfalls dem Sumpffieber. Da trifft es sich gut, dass der persische Astronom und Astrolabienbauer Musa al-Lahuri ebenfalls auf der Insel gestrandet ist. Der war eigentlich auf dem Weg nach Mekka, fühlt sich aber jetzt bemüßigt, den bleichen Fremden aufzupäppeln.

Im Dickicht des Sprachgewirrs

Das ist der Auftakt einer so widerwilligen wie wunderbaren Freundschaft zwischen Meister Musa und “Kurdistan Nibbur” (wie Musa Niebuhrs Namen versteht) – aber auch der Auftakt eines wahren Feuerwerks von Wortwitz und urkomisch entgleister Übersetzungen. Musa ist ein wahrer Polyglott: er spricht Arabisch, Persisch und den Straßendialekt seiner Heimatstadt Jaipur, aber auch Griechich und Latein.

Wenn er sich in einer Situation wiederfindet, in der er dennoch Verständigungsprobleme hat, neigt er indes dazu, in ein so blumiges wie unverständliches Sanskrit zu verfallen. So hört es sich zum Beispiel an, als Musa von den Bewohnern der Insel die nötigen Materialien haben will, um den fiebernden Niebuhr am Feuer wärmen und mit einem feuchten Lappen waschen zu können:

»Lasst Feuerbeschaffungsseile walten, oh Hundesöhne!« schrie Musa al-Lahuri. »Opfert ein Tuchgewirk, blitzgeschwind, denn ich will es betauen!« Wie er dieses Sanskrit verabscheute.

Niebuhr kann sich mit ihm nur mühsam in gebrochenem Arabisch verständigen und versucht dabei immer wieder, deutsche Redensarten unbeholfen übersetzt einzubringen, sehr zu Musas Erheiterung.

“Sein Arabisch war reichhaltig, falsch und lustig. Man verstand jedes Wort.”

Liest sich originell und unterhaltsam, hat aber auch Tiefgang

Hier unterhalten sich zwei Menschen aus vollkommen verschiedenen Kulturkreisen in einer Sprache, die für beide nicht die ihre ist. Dennoch geschieht eine echte Annäherung, auch wenn am Schluss offen bleibt, ob das Ganze nicht vielleicht doch nur ein Fiebertraum Niehbuhrs war. Aber es ist die Möglichkeit, die dieses Buch so bezaubernd macht. Die Möglichkeit, dass es wahr sein könnte.

Die Insel, auf der sich die beiden gestrandeten Reisenden wiederfinden, bietet mehr als genug Inspiration für Gedanken aller Art, so dass sich die Gespräche um die verschiedensten Themen drehen, oft mit linkischer Philosophie. Musa und Niebuhr haben zwar nicht genug kulturelle Gemeinsamkeiten, um die Verständigung einfach zu machen, aber immer mal wieder blitzt eine ehrliche zwischenmenschliche Empathie auf. Besonders die Szenen, in denen Niebuhrs Leben am seidenen Faden hängt, sind sehr rührend – dann beginnt Musa, ihm Geschichten zu erzählen, damit er nicht alleine sterben muss. Bei allen Missverständnissen ist der Austausch doch intensiv.

»Wir glotzen alle in den selben Himmel und sehen verschiedene Bilder.«
»Glotzen ist kein schönes Wort«, rügte Musa.
»Ich meine ‘glotzen’! Ich meine ‘hilflos, blöd und hoffnungslos schauen’! Ich meine ‘Affen des Mundes zu Markte tragen’!« Wir glotzen nach oben und erfinden große Gestalten und hängen sie in den Himmel! Ich eine Frau und du eine Hand und was weiß ich, was andere shen. Und dann gibt es Streit. Es ist zum Erbarmen!«
»Affen des Mundes?«

Fazit

Lieblingsbuch

Zwei Männer verschlägt es im Jahr 1764 auf die Insel Gharapuri vor Mumbai: den Bremer Mathematiker Carsten Niebuhr und den persischen Astronom und Astrolabienbauer Musa al-Lahuri. Beide wollten eigentlich ganz woanders sein – aber jetzt sind sie nun mal hier gestrandet und machen das Beste draus.

Erstmal muss Meister Musa den am Sumpffieber erkrankten Niebuhr wenigstens halbwegs wieder auf die Beine bringen. Dann verständigt man sich so gut es geht auf Arabisch, und das führt zu einem zum Schreien komischen Sprachgewirr, das Masus fantasievolle Geschichten noch unterhaltsamer macht. Doch nach und nach werden die Gespräche immer tiefgründiger, bis das Sumpffieber wieder aufflackert und Masu gegen das Sterben anerzählt…

“Die Dame mit der bemalten Hand” ist ein ganz wunderbares Büchlein, das ich mit Sicherheit mehrmals lesen werde. Hier geht es um die Begegnung von Kulturen mit all den damit verbundenen Missverständnissen und Fallgruben, aber es liest sich auch einfach verdammt unterhaltsam. Klar wird außerdem: DEN Orient gibt es genauso wenig wie DEN Okzident.

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TitelDie Dame mit der bemalten Hand
Originaltitel
Autor(in)Christine Wunnicke
Übersetzer(in)
Verlag*Berenberg
ISBN / ASIN978-3-946334-76-7 (Halbleinen, fadengeheftet)
978-3-946334-83-5 (eBook)
Seitenzahl*168
Erschienen im*Oktober 2020
Genre*Historischer Roman
bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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