© Cover ‘Susan Hill Stummes Echo’: Kampa-Verlag
© Bild Smartphone: Pixabay
Und dann war da noch Frank
Wunderschön aufgemacht ist dieses kleine Büchlein, mit seinem Leineneinband eine wahre Zierde fürs Regal. Die Geschichte entwickelt eine stille Wucht, die so bescheiden und dezent daherkommt wie das Titelbild und dennoch etwas Unwiderstehliches an sich hat – vom Umfang her ist sie jedoch wenig mehr als eine Novelle. Das kam mir sehr gelegen, denn nachdem ich die letzte Seite gelesen hatte, dachte ich etwa eine Stunde lang intensiv darüber nach und las das Buch dann direkt ein zweites Mal.
Denn die letzen Zeilen (die ich hier nicht verraten werde) werfen ein ganz neues Licht auf diese Geschichte:
Colin, Frank, May und Berenice Prime hatten eine ganz normale Kindheit in Nordengland – glücklich, fast schon idyllisch, obgleich das Leben im elterlichen Farmhouse ‘The Beacon’ geprägt war von harter Arbeit und ärmlichen Mitteln. Doch als Erwachsener schreibt Frank, der als erfolgreicher Journalist seinem Elternhaus schon lange den Rücken gekehrt hat, ohne jegliche Vorwarnung ein Buch, in dem er behauptet, seine Eltern und Geschwister hätten ihn als Kind geschlagen, gedemütigt und gequält.
Das Buch, eine typische Sensationsbiographie, wird zum Bestseller, die Geschwister sind fassungslos. Frank nennt die echten Namen, beschreibt die tatsächlichen Örtlichkeiten, die Geschichte lässt sich mühelos zurückverfolgen auf die Familie Prime.
Der Vater ist schon tot, der kränklichen Mutter, die das Haus nicht mehr verlässt, verschweigen sie die Sache, der Titel “Stummes Echo” macht auf einmal Sinn: Franks Verrat hat gravierende Folgen für alle Beteiligten und dennoch gibt es über viele Jahre keine offene Konfrontation – obwohl der Widerhall kein Ende findet.
Die zwei Gesichter der Wahrheit sind ein grundlegendes Thema des Buches.
Das stimmt doch alles nicht, das ist niemals so gewesen! Nichts davon ist passiert!
Empörung und Wut sind die ersten Reaktionen der Geschwister, sie sind sich der unumstößlichen Absolutheit ihrer Wahrheit ganz sicher: Lüge, alles Lüge. Doch im Stillen nagt im Laufe der Jahre der Zweifel an ihnen. Haben sie Dinge vergessen, falsch interpretiert? Derweil geht es Frank umgekehrt ganz ähnlich: die persönliche emotionale Wahrheit und die auf Fakten basierende Wahrheit schwingen nicht mehr im Einklang.
Die Autorin beschreibt ihre Charaktere zurückhaltend, taktvoll und mit sparsamen Worten.
Dennoch wirken sie sehr lebendig und authentisch, wobei sich die Geschichte vor allem auf den verschlossenen Frank und die hochintelligente May konzentriert, während der freundliche Colin und die verwöhnte Beatrice eher im Hintergrund stehen.
Interessant ist, dass Frank und May oft wirken wie Gegenpole der selben Wahrheit – doch hier möchte ich noch nicht zuviel verraten, denn darauf beruht meines Erachtens der Schlüsselmoment des Buches.
Fazit
Die Geschwister Colin, Frank, May und Berenice hatten eine glückliche Kindheit auf dem Lande – oder nicht? Frank schreibt ein Buch über seine angeblich schreckliche Kindheit, das seine Eltern und Geschwister als Täter porträtiert. Alles eine Lüge? Selbst Frank glaubt nicht an die faktische Wahrheit seiner Erinnerungen – oder doch?
Die Wahrheit ist fließend in diesem Roman, die Erinnerungen sind trügerisch. Doch jeder kämpft im Stillen mit seinen Zweifeln, obwohl Franks Buch ein starkes emotionales Echo hervorruft.
Einfache, klare Wahrheiten und Antworten findet man hier nicht, und gerade deswegen entwickelte die Geschichte eine starke Sogwirkung auf mich. Ich habe das schmale Büchlein direkt zweimal hintereinander gelesen.
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Titel | Stummes Echo |
Originaltitel | The Beacon |
Autor(in) | Susan Hill |
Übersetzer(in) | Andrea Stumpf |
Verlag* | Kampa |
ISBN* | 9783311210078 |
Seitenzahl* | 164 |
Erschienen am* | 11. Februar 2019 |
Genre | Gegenwartsliteratur |
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches |
Das Buch auf der Seite des Verlags
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