#Rezension Peter Zantingh: Nach Mattias

Peter Zantingh: Nach Mattias

© Cover ‘Nach Mattias’: Diogenes-Verlag
© Foto: A.M. Gottstein

Handlung

“Amber singt bei einem Konzert gegen ihren Schmerz an; Quentin läuft Kilometer um Kilometer, um der Erinnerung zu entkommen, und Kristianne möchte die wahre Geschichte ihres Sohnes erzählen. Diese Leben und das von fünf weiteren Menschen überkreuzen sich durch Mattias’ unerwartetes Verschwinden auf schicksalhafte Weise. Wie Puzzlesteine fügen sich ihre Geschichten zu einem Abbild von Mattias und werden trotz aller Trauer zu Zeugen seiner Begeisterungsfähigkeit und seines unbeugsamen Mutes, sich dem Leben jeden Tag vorbehaltlos hinzugeben.”

(Klappentext)

“Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends. Der lehnt dunkel und geduldig an der Wand, streckt sich in voller Länge über den Asphalt aus oder zeichnet hinter deinem Rücken die Silhouette einer graziös drohenden Schlange auf den zu lange nicht gemähten Rasen.”
(Zitat)

Mattias ist das Alpha und Omega, der Dreh- und Angelpunkt, das Immer und Nimmermehr dieses Buches. Für die Menschen, die ihn liebten, läutet sein Tod eine neue Zeitrechnung ein: vor Matthias, nach Matthias. Es geht um die Wirkung, die er zu Lebzeiten auf seine Mitmenschen hatte, und die Nachwirkung, die als unsichtbare Stimmgabel noch lange knochentief nachvibriert.

Es geht um zwischenmenschliche Verbindungen:

Die tiefen, die zwischen Menschen durch gemeinsame Trauer geknüpft werden, und die zufälligen, die im Nachhall von Matthias’ Tod entstehen und Relevanz erhalten.

Das ist großartig geschrieben: mit jedem Kapitel entfaltet sich eine dieser Verbindungen vor dem Leser, und das liest sich komplex und auf leise Art bedeutsam. Hier wird die Tragweite einer Verbindung nicht vorverurteilt, niemandem wird seine Trauer abgesprochen – der Mutter ebenso wenig wie dem Onlinefreund, der Mattias nie im echten Leben begegnet ist, von dessem Tod jedoch dennoch bis ins Mark erschüttert wird.

Es ist spannend, als Leser nach Querverbindungen zu suchen, und nach und nach entsteht aus unzähligen Erinnerungsfetzen ein kohärentes Bild:

Aha, das war also Mattias.

Es geht viel um die diversen Formen der Trauer – natürlich tut es das! –, aber vor dem Hintergrund dieser Trauer treten andere Emotionen glasklar hervor: Mitgefühl, Neid, Hilfsbereitschaft, Güte, Zorn, Freundschaft, Vergebung.

Der Autor umschifft dabei sensibel Kitsch und Theatralik, schmälert jedoch nie die Bedeutsamkeit der Lücke, die Mattias hinterlässt. Er überhöht ihn nicht zu einer farblosen Lichtgestalt, lässt seine negativen Eigenschaften genauso mitschwingen wie die positiven, und gerade dadurch spürt man als Leser eine echte Verbindung zu ihm.

Das war also Mattias, ja, im Guten wie im Schlechten.

Wie Mattias tatsächlich starb, das erfährt man erst sehr spät, und die Art seines Todes wirft dann ein ganz neues Licht auf manche Kapitel. Das ist gekonnt konstruiert, ohne dass es zu bemüht oder effekthascherisch wirkt.

Auch sprachlich konnte mich das Buch mühelos überzeugen.

Der Stil ist knapp, der Autor findet Bilder, die so prägnant sind, dass man erst einmal tief Luft holt. Mir wird zum Beispiel immer das leise Ticken eines sich drehenden Rades in einer totenstillen Wohnung in Erinnerung bleiben – ein schlichtes, mehrfach wiederkehrendes Bild, das im Kontext sehr viel über das Wesen der Trauer sagt.

Oder kurze Episoden wie diese:

“Beim Saubermachen stieß ich ein Buch, in dem er gelesen hatte, von der Fensterbank. Auf dem Fußboden fiel das Lesezeichen heraus. Darüber habe ich eine Stunde lang geheult. Weil ich nun nicht mehr wusste, auf welcher Seite er gewesen war.”
(Zitat)

Aber auch für die positiven Dinge findet Zantingh Bilder ohne Kitsch:

Für die zahllosen schönen Erinnerungen, die schon versprechen, bald zu einem kostbaren Erbe zu werden. Für die zaghafte Hoffnung. Für das Luftholen und Weiterleben.

Ich denke an eine bestimmte Stelle ganz am Ende – aber die möchte ich hier nicht vorwegnehmen, sie entfaltet ihre Wirkung meines Erachtens erst, wenn man vorher die volle Bandbreite der möglichen Emotionen durchlaufen hat.

Ein leiser Kritikpunkt:

Nur gelegentlich kamen mir die “Stimmen” verschiedener Charaktere auf einmal stilistisch zu ähnlich vor, dann hatte ich immer das Gefühl, den Autor zu hören und nicht die Figur. Meist gelingt es ihm aber, die unterschiedlichen Persönlichkeiten deutlich hervorzustreichen.

Fazit

Buchliebling

“Nach Mattias” ist ein leises Buch über die Trauer, das indes nie schmalzig auf die Tränendrüsen drückt. Vor allem gibt es dem Leser einen kleinen Einblick in die unzähligen, verästelten Verbindungen von Mensch zu Mensch, über die jede noch so kleine Handlung und jedes noch so nichtige Erlebnis ein Echo hervorrufen.

Der Schmetterlingseffekt, einmal als Widerhall und Wirkung der Trauer betrachtet.

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TitelNach Mattias
OriginaltitelNa Mattias
Autor(in)Peter Zantingh
Übersetzer(in)Hanni Ehlers
Verlag*Diogenes
ISBN / ASIN9783257071290 (Hardcover)
9783257610161 (eBook)
Seitenzahl*240
Erschienen im*Februar 2020
GenreGegenwartsliteratur
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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