#Rezension Kiley Reid: Such a Fun Age

Kiley Reid: Such a Fun Age

© Cover ‘Such a Fun Age’: Ullstein-Verlag
© Bild eBook-Reader / Twitter-Symbol: Pixabay

Rassismus, Klassismus, Privileg

Es fängt an damit, dass die junge Emira Tucker mitten in der Nacht überraschend auf dem Handy angerufen wird – es ist Alix Chamberlain, auf deren kleine Tochter Briar sie mehrmals in der Woche aufpasst. Ob Emira kommen könne? Am besten sofort? Es sei etwas geschehen, ein unerwarteter Notfall … Emira ist zwar gerade auf einer Party, aber sie kann das versprochene zusätzliche Geld gut brauchen und hat Briar sehr gerne. Daher holt sie das kleine Mädchen ohne weitere Umstände ab und geht mit ihr noch schnell in den Supermarkt.

Tja.

Die Sache ist die: Emira ist schwarz und gekleidet in ihre billigen Partyklamotten. Briar ist weiß und anhand ihrer Kleidung deutlich erkennbar als das Kind wohlhabender Menschen. Bevor Emira sich versieht, wird sie von der Supermarkt-Security konfrontiert – die Rede ist von Gefährdung des Kindeswohls, Entführung, Polizei. Briar ist zu klein, um zu verstehen, was vor sich geht, und Emira zu entlasten. Die Situation droht zu eskalieren, kann aber gerade noch von Briars (weißem) Vater entschärft werden.

Aber der Vorfall geht an allen Beteiligten nicht spurlos vorbei.

Emira tut zwar so, als würde sie das gar nicht groß mitnehmen, ist aber erschüttert. Alix erkennt betreten, dass sie sich nie die Mühe gegeben hat, Emira in irgendeiner Form kennenzulernen, und sie wird sich ein Stück weit ihres Privilegs bewusst. Und der Vater von Briar … Der hat gerade erst so unbedacht wie öffentlich etwas von sich gegeben, das sehr rassistisch klang, auch wenn er das nicht beabsichtigt hatte. Oder doch?

Eine sehr interessante Figurenkonstellation, hier treffen extrem konträre Leben aufeinander:

Emira ist arm und unterprivilegiert, hatte noch nie einen gut oder auch nur fair bezahlten Job, muss um alles kämpfen. Alix ist eine Frau, die immer bekommt, was sie will, und sehr viel Geld damit verdient, das auch anderen Frauen beizubringen. Nach dem Vorfall im Supermarkt wird sie zum Inbegriff des schlechten weißen Gewissens und schießt dabei übers Ziel hinaus, indem sie Emira gar nicht mehr wirklich als Person wahrnimmt. So besessen sie von der jungen Frau auch ist, so verzweifelt sie Emiras Freundin sein will – eigentlich, so mein Eindruck, geht es um die Beruhigung der eigenen Befindlichkeit. Seht her, ich bin so woke, dass ich die beste Freundin meiner schwarzen Babysitterin bin.

Dazu kommt noch Kelley, ein (weißer) junger Mann, der zufällig im Supermarkt zugegen war und das Ganze auf Video aufgenommen hat. Emira und er kommen sich im Laufe des Buches näher, sie muss sich jedoch schon bald unbehaglich fragen, ob sie als schwarze Frau von ihm nur fetischisiert wird …

Autorin Kiley Reid rückt die Konflikte messerscharf in den Fokus.

Sie macht deutlich, dass auch gute Absichten nicht alles entschulden. Das ist mal witzig, mal unangenehm – hier ist es spannend, dort bricht es dir das Herz. Aber es ist immer auf den Punkt und mehr als lesenswert.

Besonders interessant fand ich, dass Emira hier diejenige ist, die eine Diskriminierungserfahrung gemacht hat, aber Alix, Kelley und andere (überwiegend weiße) Menschen in ihrem Umfeld ihr vorschreiben wollen, wie sie damit umzugehen hat. Sie wird genötigt, an die Öffentlichkeit zu gehen, obwohl es das Letzte ist, was sie will – und damit werden schon wieder ihre Persönlichkeitsrechte beschnitten. Andere wollen sich selber besser / edler / fortschrittlicher / hilfreicher fühlen, indem Emira gezwungen wird, auf die „korrekte Art“ zu reagieren. Weiße Retter:innen zuhauf; Hilfestellung von oben herab statt auf Augenhöhe.

Zwischendurch hatte ich ein paar Kapitel lang das Gefühl, das Buch würde sich von seinem gesellschaftskritischen Anfang entfernen und das Gebiet der seichten Unterhaltung mit drohendem kitschigen Happy End betreten. Aber dann wurde mir klar, dass die Autorin mit genau dieser Erwartung spielte – dass vieles von dem, was ich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt der Handlung als gegeben hingenommen hatte, doch ganz anders war.

Meine Meinung über wichtige Charaktere wurde komplett über den Haufen geworfen, und das gefiel mir sehr gut.

Das Ende ist letztlich weder das, was ich mir gewünscht, noch das, was ich befürchtet hatte. Aber es ist stimmig, und dem Buch gelingt die Balance, gerade genug zu erklären und genug offenzulassen, damit du dir als Leser:in denkst: ja, so ist das Leben. Nicht mein Leben, aber das Leben vieler junger Frauen wie Emira, sicher auch vieler Frauen wie Alix. Für einen Moment kann ich erahnen, wie sich diese Perspektiven anfühlen.

Ein paar Nebencharaktere sind etwas „too much“ und schrappen dadurch nur haarscharf am Klischee vorbei. Aber ich habe das Buch sehr gerne gelesen und es hat mich zum Nachdenken angeregt.

Ein echter Pluspunkt: Briar ist die authentischste Zweijährige, die ich je gelesen habe, (möglicherweise auf dem autistischen Spektrum, auch wenn dies nie explizit benannt wird). Das macht es nur um so schmerzlicher, dass Alix sie anscheinend nicht immer zu schätzen weiß und ihr die pflegeleichtere zweitgeborene Schwester deutlich vorzieht. Alleine das wäre schon Stoff für einen ganzen eigenen Roman!

Fazit

Gern gelesen

Die 25-jährige Emira wird im Supermarkt beschuldigt, das Kind entführt zu haben, das sie bei sich hat. Denn sie ist schwarz, die kleine Briar ist weiß, und der Sicherheitsmann glaubt Emira nicht, dass sie schlicht und einfach die Babysitterin ist. Briars Mutter Alix fühlt sich schuldig und ist wild entschlossen, Emira zu ihrer besten Freundin und einem festen Teil der Familie zu machen – was diese misstrauisch versucht, abzublocken. Jeder scheint sie zu einem Ventil für das schlechte weiße Gewissen machen zu wollen, jeder will ihr vorschreiben, wie sie auf diesen Alltagsrassismus reagieren soll. Als die Sache sich zuspitzt, stehen auf einmal diverse Menschen in ganz anderem Licht da, als sie sich selber sehen.

Der Roman ist einerseits wirklich unterhaltsame, pfiffige Satire, schildert andererseits aber auch sehr prägnant, wie Rassismus, Klassenunterschiede und Privilegien jeweils von beiden Seiten der unsichtbaren Grenze aussehen. Autorin Kiley Reid zeigt sich mit ihrem Debütroman, der unter anderem für den Booker Prize 2020 nominiert wurde, als sehr interessante neue Stimme in der afroamerikanischen Literatur.

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TitelSuch a Fun Age
OriginaltitelSuch a Fun Age
Autor(in)Kiley Reid
Übersetzer(in)Corinna Vierkant
Verlag*Ullstein
ISBN / ASIN9783550201240 (Hardcover)
Seitenzahl*352
Erschienen im*Mai 2021
Genre*Gegenwartsliteratur
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