#Rezension Antti Tuomainen: Die letzten Meter bis zum Friedhof

Antti Tuomainen: Die letzten Meter bis zum Friedhof

© Cover ‘Die letzten Meter bis zum Friedhof’: Rowohlt-Verlag
© Bild Smartphone: Pixabay

Hinweis: im Klappentext wird der Name des Protagonisten “Jaako” geschrieben, im Buch “Jaakko”. Ich übernehme die Schreibweise im Buch.

Handlung

Jaakko geht wegen einer hartnäckigen Magendarmgrippe zum Arzt – und wird zum Sterben nachhause geschickt. Irgendjemand hat ihn vergiftet, offenbar über einen langen Zeitraum hinweg. Alle Organe sind bereits so stark geschädigt, dass da nichts mehr zu machen ist; er hat nur noch ein paar Tage, allerhöchstens Wochen.

Wer steckt dahinter? Seine Ehefrau und ihr beschämend attraktiver Liebhaber? Die zwielichtige Konkurrenz, die seinem florierenden Pilzhandel nur zu gerne die Kundschaft stehlen würde?

Jaakko wird herausfinden, was dahintersteckt – auch wenn es höchstwahrscheinlich das Letzte ist, was er tut. Aber bis dahin pflastern erstmal die Leichen anderer Menschen seinen Weg…

Düster ist es in Finnland – bitter die Schwermut, schwarz der Humor.

Es gibt Szenen, die actiongeladen und brutal auch in einem Film von Tarantino nicht fehl am Platz wären. Gnadenlos überzogen, da muss man jeglichen Gedanken an Glaubwürdigkeit erstmal fallen lassen. Aber irgendwie funktioniert das.

Es gibt Szenen, bei denen man sich totlachen will, wo einem das Lachen dann aber quer im Halse stecken bleibt. Darf man das, so über den Tod lachen? Über eine Tragödie, die ihrem Helden quasi das Leben von den Knochen schabt? Ja, darf man, vor allem, wenn der Humor so gekonnt und wohldosiert eingesetzt wird.

Dies ist eine Tragikomödie mit Flair, die ihre Munition nicht unbedacht verpulvert.

Und nebenbei, vollkommen überraschend: Tiefgang, das kann Antti Tuomainen auch.

Und dieser Tiefgang ist es auch, der für die nötige Balance sorgt, so dass der Humor nicht zu viel wird, die Geschichte nicht zu platt.

Noch bei den skurrilsten Entwicklungen schwingt ein leiser Ton lebenskluger Philosophie mit. Denn so klischeebehaftet es klingt, so zutiefst ehrlich und lebensnah liest sich das: erst im Angesicht des Todes wacht Protagonist Jaakko auf und begreift, was das Leben noch alles zu bieten hätte. Nur ist es jetzt zu spät. Oder?

Er hat nicht mehr viel Zeit, aber er packt so viel Leben in jede Minute, wie möglich – allerdings nicht, indem er einen Baum pflanzt oder einen Sohn zeugt. Seinen Mörder finden, das will er unbedingt noch schaffen, bevor er den Löffel abgibt. Und seinen Betrieb retten, obwohl ihm das ja eigentlich schon egal sein könnte. Nebenbei kann er ja noch am ein oder anderem Blümchen riechen.

Fest steht: irgendwie erleichtert ihn sein bevorstehender Tod auch. Er hat nicht mehr genug Platz im Handgepäck für Nebensächlichkeiten.

Was wir hier haben, ist eine Geschichte mit scheinbar überschaubarem Verlauf und Ende.

Schließlich weiß man von Anfang an, was passiert und wie es unvermeidlich enden wird: Jaakko stirbt. Ob er seinen Mörder findet oder nicht, ob er seinen Betrieb rettet oder nicht. Nicht vielleicht. Nicht im schlimmsten Fall.

JAAKKO. STIRBT.

(Oder? Die Hoffnung stirbt zuletzt.)

Dennoch baut der Autor einige unerwartete Wendungen ein, die es in sich haben. Während dem Leser noch der Kopf schwirrt, wartet Tuomainen mit einem brillant geschriebenen Charakter nach dem anderen auf, dem das Kunststück gelingt, gleichzeitig lebensecht und wie ein Klischee zu wirken. Er treibt diese Klischees auf die Spitze, bis man sich denkt: ja klar, solche Menschen muss es doch auch wirklich geben. Wahrscheinlich in Finnland.

Das ist so zutiefst originell und einfallsreich, dass man sowas wie logische Schlüssigkeit gar nicht vermisst. (Das muss man als Autor auch erstmal schaffen.) In dieser Stadt, in diesem verklingenden Leben, sind die Dinge nun mal, wie sie sind. Und das nimmt den Leser, der sich darauf einlässt. mit auf eine spannende, lustige, tragische Reise. Alles auf einmal.

Jaakko selber ist ein liebenswerter Mensch mit Macken und Fehlern, der durch seinen nahenden Tod paradoxer Weise erst so richtig aufblüht.

Das Sahnehäubchen auf dem Beerdigungskuchen ist der Schreibstil.

Mal ist er locker-leicht, mal so karge und knochentrocken, dass man zum Glas greifen will. Aber immer zielsicher mitten rein, ob nun ins Herz oder ins Zwerchfell. Und manchmal wird er gar melancholisch-poetisch – ohne so zu klingen wie die pseudo-poetischen Ergüsse auf Grußkarten. Da haut der Autor einem mal so eben die eigene Sterblichkeit um die Ohren.

Es ist seltsam. Wie lange ich in dem Glauben gelebt habe, unsterblich zu sein, als würde Sommer auf Sommer folgen, als würde der nächste besser werden als der vergangene. Wahr ist, dass wir nur einen Augenblick haben: einen Moment lang Sonne, einen hellen Schein, den wir nicht verstehen, einen Raum aus Zeit, der schwindet.

(Zitat)

Fazit

Buchliebling

Jaakko hat gerade erfahren, dass er nur noch wenige Tage, höchstens Wochen, zu leben hat – Organversagen durch eine lange andauernde, schleichende Vergiftung. Die Zeit, die ihm bleibt, will er nutzen, um aufzuräumen: seinen Mörder finden, seinen Betrieb so hinterlassen, dass dieser Chancen am Weltmarkt hat.

Skurril. Morbide. Zum Schreien komisch. Tragisch. Actiongeladen, Mit Tiefgang. Absurd.

Über das Buch kann man vieles sagen, auch viel Widersprüchliches. Aber es ist alles wahr, alles auf einmal, denn es schert sich keinen Deut um Konventionen und Genregrenzen. Verfolgungsjagden im Kreisverkehr (!!) kommen hier genauso vor wie choreographisch beeindruckende Actionszenen mit ungeplantem Suizid.

In meinen Augen ist das sehr gelungen und wirklich mal was ganz Anderes, wenn auch sicher nichts für allzu Zartbesaitete.

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TitelDie letzten Meter bis zum Friedhof
OriginaltitelMies joka kuoli
Autor(in)Antti Tuomainen
Übersetzer(in)Niina Katariina Wagner
Jan Costin Wagner
Verlag*Rowohlt (Print)
Lübbe (Hörbuch)
ISBN / ASIN9783498065522 (Hardcover)
9783499273889 (Taschenbuch)
9783644001374 (eBook)
Seitenzahl*352
Erschienen im*Januar 2019
GenreKriminalroman
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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