Dieser Beitrag erschien zunächst auf meinem früheren Blog auf Blogspot. Mein Schreibstil hat sich seither verändert, aber inhaltlich entspricht der Artikel immer noch meiner Meinung.
© Beitragsbild ‘Trennung Autor Werk’: Pixabay
Die Trennung? Die Trennung von was?
Nein, es geht hier nicht um das Aussortieren von Büchern. Auch das in Frauenromanen so beliebte Thema Scheidung und Neuanfang steht nicht zur Debatte, und von Mülltrennung spreche ich schon mal gar nicht.
Worum es hier geht, ist die Frage:
Inwieweit kann, soll oder muss ich AutorIn und Werk trennen?
Achtung: Dieser Beitrag enthält Informationen, die euch eventuell den ein oder anderen Autor verleiden könnten.
Zugegeben, ich befasse mich nicht immer näher mit der Person hinter dem Buch. Das geschieht meist dann, wenn a) ich das Buch besonders gut / schlecht fand, b) Hintergrund / Vergangenheit des Autors eine wichtige Rolle für die Bedeutung des Buches spielen oder c) darin außergewöhnliche / heikle Themen angesprochen werden. Aber Buchblogger haben sowas wie die literarische Buschtrommel: wenn ein Autor in irgendeiner Form umstritten ist, kommt das unweigerlich früher oder später hier an.
Und damit auch die Diskussion.
(Beziehungsweise, je nach Skandalträchtigkeit, der Shitstorm.)
…darf man den jetzt noch lesen?
Mir ist es tatsächlich schon mehr als einmal passiert, dass ich großes Interesse an einem Buch hatte, dann aber etwas über den Autor erfuhr, wonach ich es vor mir selber nicht mehr vertreten konnte, dessen Bücher zu kaufen oder auch nur zu lesen.
Und damit sind wir beim ‘kann’, ‘soll’, ‘muss’ angekommen – kleinen Inseln irgendwo im trügerischen Moor der Meinungsfreiheit. Denn was für mich nicht mehr vertretbar ist, sieht ein anderer Leser vielleicht schon ganz anders.
Muss ich 100%ig mit den Meinungen eines Autors oder einer Autorin übereinstimmen?
Nein, absolut nicht! Salopp gesprochen: mich interessiert nicht, ob er/sie Bad Boys gut findet, Harry lieber mit Hermine verheiratet hätte oder die Socken vor dem Waschen auf links dreht. Das sind Kinkerlitzchen, die für mich keine Rolle spielen.
Kann ich locker ignorieren. Soll und muss ich meines Erachtens sogar, denn ich bin Leserin – nicht Mitglied der Gedankenpolizei. (Big Reader is watching you.)
Wo liegen also die Grenzen?
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Beitrag schreiben kann, ohne Autoren und Autorinnen namentlich zu erwähnen. Da ist die Gefahr immer groß, aus Versehen eine Schlammschlacht zu starten, was nicht meine Absicht ist. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Argumentation ohne konkrete Beispiele zu schwammig und nichtssagend bleibt.
Ich denke im Besonderen an die Krimi-Autorin Anne Perry¹, die im zarten Alter von 15 Jahren (damals hieß sie noch Juliet Hulme) gemeinsam mit ihrer besten Freundin Pauline einen vorsätzlichen Mord beging. Die beiden Mädchen erschlugen Paulines Mutter mit einem Ziegelstein und entgingen nur dank ihres jungen Alters der Todesstrafe.
Aber das ist über 60 Jahre her.
Anne Perry war damals ein halbes Kind, hat ihre Zeit abgesessen und seitdem kein Verbrechen mehr begangen. Wenn ich ihre Bücher kaufe, heiße ich damit meines Erachtens den Mord weder rückwirkend gut, noch bestärke ich sie darin, weitere Morde zu begehen.
Jetzt kann man sich über das ‘soll’ und ‘muss’ sicher schon streiten, aber ich kann es für mich ethisch und moralisch vertreten.
Meine Grenzen liegen hier…
[ Achtung, Achtung – persönliche Meinung voraus! Mistgabeln, rohe Eier und faule Tomaten bitte an der Tür abgeben und immer im Hinterkopf behalten: ich spreche hier von Richtlinien, die ich für mich an mein persönliches Lese- und Kaufverhalten anlege, und bin mir vollauf bewusst, dass es unmöglich ist, allgemein gültige Regeln aufzustellen. Ich verurteile niemanden, der für sich beschließt, Autor und Werk komplett zu trennen. ]
Im Fall von Anne Perry geht es um etwas, das lange her ist und das sie auch bereut und gebüßt hat. Schwierig wird es für mich, wenn es um Verhalten geht, das immer noch andauert oder von dem sich der Autor nie glaubhaft distanziert hat.
Wie schon gesagt, ich möchte mitnichten zur Hetzjagd aufrufen, aber ich möchte zwei Beispiele nennen, die zeigen, wo meine persönlichen Grenzen verlaufen.
1.) Wenn ich ein Buch eines Autors kaufe, der etwas in meinen Augen nicht Vertretbares getan hat, dann sehe ich das als finanzielle Unterstützung dieses Verhaltens, da der Autor Tantiemen oder Honorar vom Verlag bezieht.
Ich will z.B. einem Menschen, der Intoleranz predigt, keinen Cent meines Geldes geben.
Hier denke ich an Orson Scott Card², der immer wieder durch aggressiv homophobe Äußerungen für negative Schlagzeilen sorgte und vor ein paar Jahren ironischerweise forderte, man solle diesen Äußerungen doch bitteschön mehr Toleranz entgegenbringen. Unter anderem rief er dazu auf, Homosexualität zu verbieten, um Homosexuellen die klare Botschaft zu senden, dass sie mit ihrem Verhalten nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert werden können.
2.) Wenn ich das Buch wissentlich kaufe, in vollem Bewusstsein dessen, was der Autor getan hat, erscheint mir das ganz abgesehen vom Finanziellen als stillschweigende Duldung des Verhaltens.
Hier geht es nicht mehr ums Geld, sondern darum, dass es mir zutiefst wiederstrebt dem Autor auch nur eine Sekunde meiner Lebenszeit zu gönnen.
Ich denke an Marion Zimmer Bradley³, die von ihrer eigenen Tochter beschuldigt wurde, sie und andere Mädchen auf sadistische Art und Weise sexuell missbraucht zu haben. Die Autorin selber gab zu Lebzeiten lediglich zu, dass ihr bekannt war, dass ihr Ehemann Kinder missbrauchte, sie ihn aber dennoch nicht anzeigte und es damit duldete. Das alleine ist schon schlimm genug.
Die Autorin ist tot – ich würde sie mit dem Kauf ihrer Bücher nicht mehr finanziell unterstützen. Aber ich kann ihre Bücher dennoch nicht mehr lesen, weil es mir nicht gelingen würde, sie unvorhereingenommen zu betrachten.
Ich bin euch die abschließende Antwort schuldig geblieben: kann, soll, muss ich Autor und Werk trennen?
Diese Frage lässt sich gar nicht allgemeingültig beantworten; jeder muss sie meines Erachtens mit sich selbst ausmachen. Schwieriger ist ohnehin die Frage nach dem ‘darf’, die ich bisher noch gar nicht angesprochen habe, weil wir uns damit auf sehr dünnes Eis begeben.
Würde ich mir anmaßen wollen, anderen Lesern zu sagen: ihr dürft Bücher von Marion Zimmer Bradley oder Scott Orson Card nicht mehr lesen?
Nein. Auf gar keinen Fall.
Von da wäre es in meinen Augen nur noch ein kleiner, aber unverzeihlicher Schritt zu Bücherverbrennungen.
Für mich würde ich die Frage so beantworten:
Ich kann, soll und muss ein Buch von seinem Autor trennen, wenn es nur um dessen persönliche Eigenheiten, Marotten oder Meinungen geht, die mir vielleicht nicht passen. Aber wenn es um etwas geht, das meinen ethischen Grundprinzipien widerspricht, kann ich das nicht, will ich das nicht und muss es auch nicht.
Wie seht ihr das?
Könnt bzw. wollt ihr Buch und Autor komplett voneinander trennen?
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¹ https://www.zeit.de/1995/04/Das_erfundene_Ich/seite-2
² https://en.wikipedia.org/wiki/Orson_Scott_Card#Views_about_homosexuality
³ https://en.wikipedia.org/wiki/Marion_Zimmer_Bradley#Child_sex_abuse_allegations
³ https://dorisvsutherland.wordpress.com/2017/03/02/marion-zimmer-bradleys-child-abuse-cover-up-or-exploitation/
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