[ Lesegelaber ] Über das Abbrechen

Bücher abbrechen


© Junge Frau im Beitragsbild: Pixabay
Dieser Beitrag erschien zuerst im November 2016 auf meinem alten Blog auf Blogspot.

Als kleines Kind war ich der unerschütterlichen Überzeugung, jedes veröffentlichte Buch müsse einfach gut sein.

Denn a) Autoren sind schlaue Leute, und b) im Verlag arbeiten schlaue Leute, und c) schlaue Leute wissen, was gut ist. Daraus folgte zwangsläufig: d) wenn mir ein Buch nicht gefällt, dann muss es an mir liegen. Vielleicht bin ich zu jung oder (noch schlimmer!) gehöre nicht zu den schlauen Leuten, und das kann ich auf keinen Fall zugeben.

Vielleicht hat sich mein inneres Kind niemals wirklich von dieser Vorstellung lösen können. Tatsache ist jedenfalls, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal ein Buch abgebrochen habe, dafür aber direkt an mehrere Bücher, die mir in etwa so viel Spaß gemacht haben wie eine Zahnwurzelbehandlung.

Deswegen ist es Zeit, in mich zu gehen, und mich zu fragen:

Wann ist es ok (oder auch nicht ok), ein Buch abzubrechen?

Ich werde jetzt einfach mal ein paar typische Szenarien durchspielen, sozusagen in Dialog treten mit meinem inneren Kind.

Inneres Kind: Alle lieben dieses Buch! A. L. L. E. Ich bin die Einzige, der es nicht gefällt – was sagt das über mich aus? Habe ich denn gar keinen Geschmack? Verstehe ich es einfach nicht? Ich kann das Buch unmöglich abbrechen, nur weil ich zu blöd bin!

Ganz ruhig. Zunächst mal glaube ich nicht, dass du so völlig alleine mit diesem Dilemma dastehst. Klar, du siehst im Moment überall positive Rezensionen, aber es gibt bestimmt eine ganze Menge Leser, die das Buch abgebrochen oder schlicht nicht bewertet haben. Und selbst wenn du wirklich der einzige Mensch auf diesem Planeten wärst, der das Buch nicht mag, hättest du immer noch das Recht auf deine eigene Meinung.

Was das über dich aussagt? Es sagt aus, dass dir das Buch nicht gefällt. Nicht mehr, nicht weniger.

Es kann viele Gründe haben, warum einem Leser ein Buch nicht gefällt, und die wenigsten davon haben meiner Meinung nach mit der objektiv bewertbaren Qualität eines Buches zu tun. Und während die objektiv bewertbaren Kriterien eine Rolle spielen sollten beim Schreiben einer Rezension, müssen sie nicht notwendigerweise eine Rolle spielen bei der Entscheidung: Abbruch oder nicht Abbruch. Denn diese Entscheidung betrifft erstmal nur dich selbst.

Inneres Kind: Vielleicht wird es ja noch besser.

Vielleicht, aber wie wahrscheinlich ist das? Wie lange quälst du dich schon – 100 Seiten? 200? 300?!

Inneres Kind: Aber ich bin doch Buchbloggerin. Es ist meine Pflicht, jedes Buch zu beenden und dann eine faire Rezension zu schreiben! Verliere ich sonst nicht an Glaubwürdigkeit?

Ich finde es auch für Buchblogger durchaus legitim, ein Buch abzubrechen, dann (wahlweise) ein kurzes Fazit zu schreiben und es dabei zu belassen. Das kann für deine Leser durchaus interessant und hilfreich sein, und es macht dich in meinen Augen nicht weniger glaubwürdig. Vielleicht im Gegenteil, denn mit dem Eingeständnis, dass du das Buch nicht beenden konntest, sagst du indirekt auch, dass du deinen Lesern nichts vormachst.

Ganz ehrlich: bringt eine 1-Sterne-Rezension dem Leser deines Blogs wirklich mehr als eine kurze Begründung, warum du das Buch abgebrochen hast?

Meiner Meinung nach nicht notwendigerweise. Sogar wenn du das Fazit weglässt und das Buch einfach abbrichst, wird die literarische Welt nicht untergehen, weil du deine Meinung nicht kundgetan hast.

Allerdings sollte man meines Erachtens keine vollständige Rezension schreiben, ohne a) dem Buch wenigstens 100 Seiten lang eine Chance zu geben und b) deutlich darauf hinzuweisen, dass man das Buch abgebrochen hat, denn das könnte irreführend sein.

Inneres Kind: Aber was ist mit dem Autor? Der hat doch Herzblut in dieses Buch gesteckt! Schulde ich es ihm nicht, das Buch zu beenden? Ist es nicht respektlos, das Buch abzubrechen?

Das ist eine schwierige Frage, zugegeben. Aber wie eben schon mal gesagt: ein Abbruch betrifft erstmal nur dich selbst – im Normalfall wird der Autor ja nicht einmal etwas davon erfahren.

Die Frage ist, wie du diesen Abbruch nach außen trägst.

Solange du nicht gerade unfaire Verrisse übers ganze Internet verteilst, den Autor persönlich angreifst oder in einer anderen Form rumpöbelst, ist auch eine negative Meinung erstmal nur das: eine Meinung. Und damit müssen Menschen umgehen lernen, die in irgendeiner Form etwas von sich der Welt preisgeben, egal ob als Maler, Musiker oder Autoren.

Allerdings würde ich persönlich aus Respekt vor dem Autor immer versuchen, wenigstens 100 Seiten des Buches zu lesen.

Inneres Kind: Aber was ist, wenn es ein Leseexemplar ist? Dann schulde ich dem Verlag eine Rezension, denn er hat mich dafür ja mit dem Buch bezahlt.

Ok, ich muss zugeben, das ist wirklich ein Dilemma.

In diesem Fall ist es tatsächlich so, dass der Abbruch nicht mehr nur dich selbst betrifft, denn du bist eine Vereinbarung eingegangen: das Buch im Austausch gegen eine faire Rezension. Wenn du vorschnell abbrichst hast du deinen Teil nicht eingehalten. Leg das Buch vielleicht für eine Woche oder zwei weg, lies erstmal was anderes.

Sprich mit jemandem darüber, was dich so stört.

Meiner Meinung nach schuldest du es dem Verlag, nicht schon nach wenigen Kapiteln aufzugeben, aber wenn es wirklich überhaupt nicht geht, dann wende dich an deinen Ansprechpartner beim Verlag. Viele Verlage sind da durchaus verständnisvoll und lassen mit sich reden.

Vielleicht kannst du das Leseexemplar ja nach Absprache mit dem Verlag an einen anderen Blogger weiterreichen.

Inneres Kind: Also ist ein Abbruch ok?

Zusammenfassend würde ich sagen: wenn es sich nicht um ein Leseexemplar handelt, dann ist ein Abbruch auf jeden Fall eine vollkommen legitime, persönliche Entscheidung. Wenn es ein Leseexemplar ist, sprich erst mit dem Verlag, der wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit verstehen und es zu schätzen wissen, dass du dich bemüht hast.

Lesen sollte Freude bereiten. Die meisten von uns sind umgeben von einer Vielzahl ungelesener Bücher, die wir gerne noch lesen möchten, und das Leben ist eigentlich zu kurz, um sich mühsam durch ein ungeliebtes Buch zu quälen. In meinen Augen sollten wir als Buchblogger uns zwar um vielfältige, interessante Inhalte bemühen, schulden unseren Lesern aber nichts außer Ehrlichkeit. Und da kann auch schon mal dazugehören, dass wir ein Buch einfach nicht beenden konnten.

Dennoch würde ich dazu raten, nicht zu früh aufzugeben, vor allem nicht nur deswegen, weil das Buch dich in irgendeiner Form fordert oder aus deiner Komfortzone herausbringt. Oft sind die besten Bücher die, die es einem erst nicht so einfach machen! Aber im Endeffekt musst du selber wissen, ob sich ein Buch für dich lohnt oder nicht.

Was meint ihr dazu? Abbruch oder nicht Abbruch?


Seit ich diesen Artikel im November 2016 geschrieben habe, gehe ich selber entspannter mit Abbrüchen um. Ich breche immer noch sehr, sehr selten ab –  aber es kommt vor, auch bei Rezensionsexemplaren. Ich schreibe dann immer ein Fazit für den Verlag, warum sich solche Probleme mit dem Buch hatte, und bisher war das dann immer ok.


 

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