© Cover ‘María Cecilia Barbetta Nachtleuchten’: S. Fischer Verlag
© Foto: A.M. Gottstein
Das Buch hat es als Finalist auf die Shortlist der nominierten Bücher geschafft, aber nicht gewonnen.
Handlung
Klappentext:
” In ihrem neuen Roman erzählt María Cecilia Barbetta von der gespenstischen Atmosphäre am Vorabend eines politischen Umsturzes. Sie sind aus der ganzen Welt gekommen und haben sich in Buenos Aires eine Existenz aufgebaut. In dem Viertel Ballester kämpfen sie jeder auf seine Art für den Aufbruch, die Revolution und eine bessere Zukunft – Teresa und ihre Klassenkameradinnen in der katholischen Mädchenschule ebenso wie Celio, der Friseur in der »Ewigen Schönheit«, oder die Mechaniker der Autowerkstatt »Autopia«.”
“Doch politische Spannungen zerreißen das Land, Aberglaube und Gewalt schleichen sich in die Normalität. Mit einem feinen Gespür für die Poesie des Alltags erzählt die in Argentinien geborene María Cecilia Barbetta von der Liebe zum Leben in Zeiten des Umbruchs.”
Ein buntes Wirrwarr in Zeiten des Umsturzes
Meine Meinung
Argentinien steht kurz vor dem Militärputsch.
Die großen Veränderungen im Land zeigen sich im Kleinen – im Alltag ganz normaler Menschen, die keinerlei Einfluss auf diese Entwicklungen haben. Über Politik wird in der Autowerkstatt debattiert, im Friseursalon beweint man den Tod Juan Peróns, in der Klosterschule verwechselt man in aller Unschuld Kommunismus und Spiritismus.
Wunderbare Geschichten, traurige Geschichten, spannende Geschichten:
‘Autor-Mechaniker’ Álvaro Fantini übernimmt die Redaktion der Lokalzeitung und gewinnt die verschiedensten Menschen dafür, über das zu schreiben, was sie bewegt. Kritische Stimmen sind erlaubt, was durchaus nicht unbedeutend ist in dieser Zeit. Derweil zieht Klosterschülerin Teresa mit einer billigen Plastikmadonna durch die Stadt und verleiht sie im Glauben ihrer Wundertätigkeit für jeweils sieben Tage an verschiedene Haushalte. Frisör Celio kümmert sich liebevoll um seine schon vor Jahren verstummten Mutter, die sich dennoch als Stimme bombastischer Sprachgewalt erweist.
Das ist nur ein kleiner Auszug der zahlreichen Geschichten, die sich immer mehr überschneiden und dadurch an Tiefe gewinnen.
Und so sind es auch die Charaktere, die diesem Roman seine Kraft und seine Lebendigkeit verleihen.
María Cecilia Barbetta zeichnet sie mal mit leichter Hand, mal laut und überlebensgroß, oft so zart und liebevoll, dass einem das Herz aufgeht. In den vier Akten der Geschichte begegnet man einigen davon immer wieder, entdeckt ungeahnte Aspekte ihrer Persönlichkeit. Im Laufe der Handlung kommen jedoch auch zahlreiche Charaktere neu hinzu.
Irgendwann verliert man den Überblick.
Gegen Ende bricht eine wahre Kakophonie von Stimmen los. Die Schauplätze verschwimmen, schwindelerregend – man kann das ‘wer’ und ‘wo’ kaum mehr auseinanderhalten. Und das ist noch deutlich untertrieben.
Man verliert als Leser vollkommen den Halt, und das ist sicher von der Autorin auch so beabsichtigt.
Eine Unterscheidung der verschiedenen Stimmen ist nicht mehr möglich und im Grunde auch nicht mehr notwendig. All diese Menschen werden zu einem einzigen großen Choralgesang lebender, atmender Zeitgeschichte. Gerade das Chaos und die heillose Verwirrung bilden einen passenden Hintergrund für diese Geschichte, die in einer Zeit großen Umsturzes spielt.
Dennoch, ich muss es gestehen, fand ich Teile des dritten Aktes und die Gänze des vierten sehr anstrengend zu lesen. Ich musste ein paar Nächte darüber schlafen, bis ich meinen inneren Frieden mit der Kakaphonie schließen konnte.
Der Schreibstil war für mich jedoch das Highlight des Romans.
Er wandelt sich immer und immer wieder, je nachdem, wo die Handlung sich gerade abspielt und welche Charaktere im Mittelpunkt stehen. Metaphern und Bilder werden an Berufe und Persönlichkeiten angepasst oder spiegeln die politische Situation wieder, und das ist unglaublich clever gemacht.
Die Autorin spielt mit der Sprache – kunstvoll, lustvoll, humorvoll –, nicht nur mit ihrem Klang, sondern oft auch mit der Optik interessant gesetzter Passagen. So spricht ein Charakter in einer Szene zum Beispiel leiser und die Schriftgröße wird immer kleiner, einem anderen gehen verschiedene Buchstaben verloren, oder ein Autounfall wird in einer Schrift beschrieben, die an einen Comic erinnert.
Durch die Handlung mit ihren durchaus ersten Themen zieht sich ein großartiger Humor. Ich habe mehr als einmal laut gelacht.
Fazit
1974, kurz vor vor Beginn der argentinischen Militärdiktatur: “Nachtleuchten” bietet einen Einblick in das Leben verschiedener Bürger eines kleinen Ortes in der Provinz Buenos Aires.
Sprachlich ist das ungewöhnlich und bestechend, der Schreibstil konnte mich voll und ganz überzeugen. Auch die Charaktere sind rundum gelungen, und das Buch baut eine dichte Atmosphäre auf, so dass man die Stimmung vor dem Putsch sehr gut nachempfinden kann.
Allerdings muss man sich im Verlauf des Buches zunehmend durchkämpfen, wenn immer mehr und mehr Stimmen, Handlungsorte und Perspektiven zur Geschichte stoßen, die zum Teil auch noch alle gleichzeitig zur Sprache kommen.
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Titel | Nachtleuchten |
Originaltitel | — |
Autor(in) | María Cecilia Barbetta |
Übersetzer(in) | — |
Verlag* | S. Fischer |
ISBN* | 310397289X 9783103972894 |
Seitenzahl* | 528 |
Erschienen am* | 15. August 2018 |
Genre | Gegenwartsliteratur |
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches |
Das Buch auf der Seite des Verlags
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