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Meine Güte, wie die Jahre ins Land ziehen!
2021 war ich tatsächlich schon zum dritten Mal Mitglied der Jury des Blogger-Literaturpreises »Das Debüt«. Wieder habe ich gespannt auf die Shortlist gewartet, wieder habe ich die Bücher verschlungen, wieder habe ich mit mir gehadert, wer letztendlich auf meinem Treppchen stehen soll. Aber dieses Jahr, das muss ich einfach so sagen, war die Shortlist meines Erachtens so stark wie nie zuvor! (Was die Auswahl natürlich nicht einfacher machte, aber das sind Luxusprobleme.)
Die nominierten Titel (NICHT sortiert nach Platzierung!):
Link: [ Das Debüt 2021 ] Bloggerpreis für Literatur: Die Shortlist
Die Bloggerjury:
- Eva Jancak von Literaturgeflüster
- Marion Rave von schiefgelesen.net / @schiefgelesen
- Petra Reich von LiteraturReich / @literaturreich
- Silvia Walter von leckere Kekse / @leckerekekse_silvia
- Ruth Justen von Ruth liest / @ruthjusten
- Katja Plifke von Zwischen den Seiten: Bücher und Anderes / @books.with.rabenfrau
- Marc Richter von Lesen macht glücklich / @lesen_macht_gluecklich
- Sabine Gelsing von Sabine Gelsing / @sabine_gelsing
- Ines Daniels von letteratura / @letteratura_blog
- Sandra Doods von Frau Pastell / @fraupastell
- Ramona Kottusch von Marvellous.Books / @marvellous.books
- Patrick Linke von @buch.und.buehne
- Marco Lombardi von @alpenlandkunst
- Sebastian Aufdemkamp von Auf ein Buch – Der Literaturpodcast / @aufeinbuch_podcast / YouTube-Kanal
- Fabian Neidhardt von mokita.de
- …und meine Wenigkeit!
Auf unseren Blogs findet ihr jeweils einen Beitrag, in dem wir unsere persönlichen Favoriten vorstellen.
Jede*r von uns wählte drei Favoriten aus und vergab einen Punkt für den dritten Platz, drei Punkte für den zweiten Platz und fünf Punkte für den ersten Platz. Die von allen Jurymitgliedern vergebenen Punkte wurden zusammengerechnet, um den Gewinnertitel zu ermitteln – siehe weiter unten!
Zeit für mein persönliches Siegertreppchen!
Wie jedes Jahr musste ich mir auch 2021 wieder die Frage stellen, was ich höher bewerte, wenn mir (so rein vom Bauch her) zwei Bücher beide sehr gut gefallen. Anspruch? Sprache? Charakterzeichnung? Unterhaltsamkeit? Originalität? Ich überlegte hin und her, her und hin – es war zum Haareraufen. Aber hier sind sie nun, meine persönlichen Herzenstitel:
Der dritte Platz und damit ein Punkt geht an “Adas Raum” von Sharon Dodua Otoo.
© Cover ‘Adas Raum’: S. Fischer
© Bild Smartphone: Pixabay
Link: #Rezension Sharon Dodua Otoo: Adas Raum
1459 verliert Ada ein Baby im westafrikanischen Totope. 1848 ist sie Ada Lovelace und bricht durch eine Affäre aus dem Käfig ihrer Ehe aus. 1945 existiert sie (Leben mag ich es kaum nennen) im Lagerbordell eines KZs. 2019 ist Ada hochschwanger, hat in Berlin jedoch Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, denn sie ist schwarz. Immer ist sie Ada, von Reinkarnation zu Reinkarnation erlebt und erleidet und erkämpft sie sich das Leben. Kolonialismus, Rassismus, Sexismus, sie erlebt den ganzen Reigen der schändlichen -Ismen. Dabei sind ihre Erlebnisse immer von einer rohen Authentizität.
Otoo erzählt auf eine Art, die so originell ist, dass man aufhorcht, vielleicht erstmal skeptisch die Augenbraue hochzieht. Hier werden Grenzen überschritten oder neu definiert, darauf musst du dich erstmal einlassen. Aber das lohnt sich, denn “Adas Raum” ist ein literarisches Abenteuer, ein sprachliches Fest! Ein Debüt mit erzählerischer Wucht und doch feiner Subtilität.
Ich konnte mich der Geschichte nicht entziehen. Sie hielt mich auf jeder einzelnen Seite gepackt, mit ihrer intelligenten Schreibweise, ihrer unterschwelligen Spannung, ihrem klaren Blick auf eine Frau, die sich quasi häutet und wandelt und doch im tiefsten Inneren immer denselben Funken Leben in sich trägt. Das ist frisch und berührend und mit jeder Drehung der Schraube wieder überraschend.
Der zweite Platz und damit drei Punkte gehen an “Die Gegenstimme” von Thomas Arzt.
© Cover ‘Die Gegenstimme’: Residenz-Verlag
© Bild Smartphone: Pixabay
Link: #Rezension Thomas Arzt: Die Gegenstimme
Wir befinden uns im April 1938. In Österreich soll eine Volksabstimmung nachträglich den Anschluss ans Nazi-Regime legitimieren – inszeniert, durchgeplant, mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun. Eine Welle der Propaganda und Verblendung überflutet das Land; wer dagegen ist, hält aus Angst meist den Mund. In einem kleinen Dorf herrscht am Wahltag eine perverse Festtagsstimmung: Die eine jubelt im Hitler-Wahn, der andere ersäuft sein Gewissen im Schnaps. Nur Karl, der Sohn des Schusters, kehrt extra heim aus Innsbruck, wo er studiert, um seine Gegenstimme abzugeben.
Obwohl der ein oder andere Charakter sicher überspitzt dargestellt wird – als Verkörperung einer bestimmten Facette der Anpassung, der stillen Kapitulation, des Mitläufertums oder der fanatischen Hingabe an das Naziregime –, gelingt Thomas Arzt dennoch ein sehr nuanciertes, schlüssiges Bild. „Die Gegenstimme“ ist ein Mosaik der Menschlichkeit im Rahmen einer moralischen Extremsituation, und das ist meines Erachtens ungemein ausdrucksstark.
Das kleine Dorf wird zum Brennglas für diesen Teil der deutsch-österreichischen Geschichte. In kleinem Rahmen zeigt sich die gesamte Bandbreite der menschlichen Fehlbarkeit, der menschlichen Hoffnung, des menschlichen Mutes – auch wenn letzterer eher durch ein verzweifeltes Aufbäumen als durch strahlende Heldentaten Ausdruck findet. Das ist schlüssig und spannend, regt zum Nachdenken an und überzeugt auch sprachlich durch eine gekonnte Mischung aus Hochdeutsch und Dialekt.
Der erste Platz und damit fünf Punkte gehen an “Mama” von Jessica Lind.
© Cover ‘Mama’: Kremayr & Scheriau
© Bild Smartphone: Pixabay
Link: #Rezension Jessica Lind: Mama
Dieser Roman ist so vielschichtig, so voller Symbolik, dass sicher keine zwei Leser:innen ihn auf dieselbe Art und Weise interpretieren werden.
Mutterschaft, postpartale Depression oder gar Psychose, Eheprobleme – Jessica Lind verpackt diese nur zu realistischen Themen in eine Geschichte, die die Genregrenzen überschreitet. Raum und Zeit verschwimmen, ein Märchen scheint auf surreale Weise zum Leben zu erwachen, die Protagonistin verliert vollkommen den Halt, und doch steht im Zentrum stets das Thema Mutterschaft. Als Traum, als Albtraum, als Weg zum Lebenssinn oder als vollkommener Verlust der Selbstbestimmung.
Ich konnte mich der Geschichte von der ersten Seite an nicht entziehen. Sie hielt mich gepackt, mit einem Gefühl der dräuenden Verdammnis und gleichzeitig dem Wunsch nach einer Versöhnung der Erzählerin mit sich selbst. Das ist spannend und ruft viele Assoziationen hervor, die man als Leser:in erstmal sortieren muss. In meinen Augen habe ich nie zuvor etwas gelesen, in dem Mutterschaft so symbolisch-bedrohlich, geradezu kafkaesk, dargestellt wurde, und zugleich so glaubhaft und emotional überzeugend. Jessica Lind nutzt Depersonalisation und Derealisation, schafft einen Abstand durch die Ebene der Märchenerzählung, um ihre Geschichte in einer Vielzahl von Farben zu malen und dabei doch subtil zu bleiben. Die Sprache ist einfach, schlägt aber gekonnt die Brücke zwischen den märchenhaften und den realistischen Elementen.
Ich weiß nicht, was ich von diesem Roman erwartet hatte, aber nicht das, was ich bekommen habe. Und das ist auch gut so! Für mich ist “Mama” ein ungemein starkes Debüt.
Der Gewinner ist…
Mein persönlicher Favorit, “Mama” von Jessica Lind! Herzlichen Glückwunsch an die Autorin und den Verlag Kremayr & Scheriau!
Die Begründung der Gesamtentscheidung findet ihr hier auf der Webseite von “Das Debüt”!
Dort werden auch die Stimmen der verschiedenen Jurymitglieder zitiert und ihre Rezensionen zu den verschiedenen nominierten Büchern verlinkt.
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