Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich das Karussell immer schneller dreht.
Immer mehr Bücher erscheinen in immer kürzerer Zeit, oder so kommt es mir zumindest vor, und Autoren, die früher vielleicht alle zwei Jahre ein Buch herausgebracht haben, schreiben jetzt scheinbar wie am Fließband. Gut, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, zugegeben – aber in meinen Augen nicht viel. Auf dieses Thema, also Umfang und Frequenz der Buchproduktion., möchte ich jedoch erst in einem zukünftigen Lesegelaber näher eingehen, das muss ich noch gründlich recherchieren.
Worauf ich heute hinauswill, betrifft nicht die Rolle der Verlage oder Autoren, sondern unser persönliches Leseverhalten. Also das von uns Bloggern, Bücherwürmern und Leseratten.
Mein Eindruck ist, dass sich dieses – und auch unser Konsumverhalten – zeitgleich mit der Beschleunigung der Buchbranche verändert. Der Zyklus von kaufen, lesen, kaufen, lesen wird zunehmend rasanter – wenn er nicht sogar umschlägt in kaufen, kaufen, kaufen, lesen, kaufen, kaufen, kaufen… Ob wir es da mit Ursache und Wirkung zu tun haben oder es eine zufällige Parallelentwicklung ist, lässt sich schwer abschätzen; sicher liegt es zum großen Teil auch einfach daran, dass wir uns gegenseitig anstacheln. Wir zeigen uns unsere Neuzugänge, sprechen ständig und überall über unseren SUB₁ und stecken uns gegenseitig an mit unserer Begeisterung. Aber, da bin ich mir sicher, so ganz unschuldig ist die Buchbranche daran nicht.
Um es mal mit Hannibal Lecter zu sagen: Wir beginnen, das zu begehren, was wir jeden Tag sehen. Und was wir jeden Tag sehen, sind gefühlt zwei Dutzend Neuerscheinungen.
Aber über den SUB₂ und den Hype₃ habe ich in vergangenen Beiträgen schon gesprochen, lassen wir diese also mal außen vor und kommen endlich zum Punkt:
Ist euch mal aufgefallen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Buch auch gelesen wird, mit dem Alter des Buches ständig sinkt?
Und mit Alter meine ich hier sowohl die Zeit seit Erscheinen des Buches als auch die Zeit seit Kauf des Buches.
Wie oft sieht man auf einem Blog einen Neuzugängebeitrag, nach dem zumindest ein Teil der vorgestellten Bücher auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung verschwindet – was nach einem halben Jahr noch auf dem SUB liegt, hat anscheinend gute Chancen darauf, sich dort auf Dauer häuslich einzurichten. Ich muss zugeben, auf meinem SUB liegen noch Bücher von 2012 und 2013. Das ein oder andere ist vielleicht sogar noch älter.
Ich ertappe mich selber dabei, dass ich im Zweifelsfall neueren Büchern den Vortritt gebe.
Aber woran liegt das eigentlich? Ist es einfach die Begeisterung über das glänzende neue Spielzeug? Ist es eine Art von Übersättigung, weil hier inzwischen über 500 Bücher auf dem SUB liegen und die neusten Bücher einfach am präsentesten sind?
Zumindest zum Teil ist es in meinem Fall ein Symptom der Bloggeritis. Wenn ich vor meinem Regal stehe, auf der Suche nach dem nächsten Buch, das ich lesen möchte, nehme ich manchmal eines in die Hand, das vielleicht schon ein paar Jahre alt ist, und denke: Interessiert das überhaupt noch jemanden? Wenn ich es jetzt lese und rezensiere, bin ich damit nicht zu spät dran? Ich habe immer im Hinterkopf, irgendwo in einer Abstellkammer voller verquerer Gedanken, dass ich es meinen Lesern ‚schulde‘, meinen Blog aktuell und interessant zu halten. Was natürlich impliziert, dass ein älteres Buch keins von beidem ist.
Ich möchte betonen, dass diese Gedanken eher unterbewusst ablaufen.
Würde mich jemand fragen: „Darf ein Buchblogger auch mal ein Buch rezensieren, das schon ein bisschen älter ist?“, dann wäre meine Antwort „Natürlich! Dies ist ein Buch, du bist ein Buchblogger, Ende der Geschichte.“ Und dennoch stehe ich vor dem Regal und zögere.
Damit kommen wir zum Titel dieses Beitrags: Es fühlt sich manchmal an, als hätten Bücher ein unsichtbares Verfallsdatum. Ein Höchstensblogbarkeitsdatum, sozusagen.
Aber was soll das eigentlich? Warum ist ein Teil von mir anscheinend darauf geprägt, dass nur ein neues Buch ein bloggenswertes Buch ist? Ich betone immer, dass ich kein Influencer sein will, sondern einfach eine Buchbloggerin, und dennoch fühle ich mich anscheinend als Teil der Marketingmaschine, die immer nur die topaktuellen Titel promotet. Versteht mich nicht falsch, Ich bin den Verlagen dankbar für die Rezensionsexemplare, und ich unterstütze Autoren und Verlage sehr gerne. Aber das Gefühl, dass ich mich selber einschränke bei der Auswahl meiner Lektüre, um immer etwas Neues bieten zu können, dass ich blindlings mitfahre auf diesem Karussell, das sich immer schneller dreht, gefällt mir nicht.
In letzter Zeit versuche ich, dem bewusst entgegenzusteuern.
Im Januar habe ich immerhin vier Bücher gelesen, die schon seit ein paar Jahren darauf warten, und ich will in Zukunft öfter nach Büchern greifen, die keine Neuerscheinungen sind. Was natürlich nicht heißt, dass ich nicht auch über neue Bücher schreiben werde – aber eben nicht nur. Was ich anstrebe, ist eine gute Balance zwischen neu und alt.
Vor allem aber möchte ich gerne wieder mehr ins Auge fassen, was mich ursprünglich dazu gebracht hat, einen Buchblog zu starten: Ich wollte Bücher lesen, die mich begeistern, und über diese Bücher sprechen. Und ich wollte mich auch über Bücher austauschen, die mich nicht begeistern. Das Alter eines Buches interessierte mich damals eigentlich gar nicht.
Bücher sind im Prinzip des haltbarste Gut, dass man sich vorstellen kann. Auch, wenn sie im Regal Staub ansetzen, bleibt der Inhalt wahrhaft guter Bücher doch immer frisch. Der Schreibstil schimmelt nicht. Die Charaktere werden nicht ranzig. Der Spannungsbogen trocknet nicht aus. (Ein einzelnes physisches Exemplar kann zerstört werden, aber die Geschichte bleibt normalerweise erhalten.)
Dieses unsichtbare Verfallsdatum existiert nicht, oder zumindest nur in meinem Kopf, vielleicht in unseren Köpfen.
Bücher sind es wert, auch nach sechs Monaten, einem Jahr, fünf Jahren oder 20 Jahren gelesen zu werden.
Und ich bin Buchbloggerin. Ich werde von niemandem dafür bezahlt, dass ich lese und rezensiere, und deswegen steht es mir frei, nur das zu lesen, was ich will. Warum nutze ich diese Freiheit so wenig? Natürlich, wenn ich ein Rezensionsexemplar akzeptiere, dann gehe ich eine Verpflichtung ein, und da ist es Ehrensache, diese auch einzuhalten.
Aber ansonsten? Mein Blog, meine Bücher.
₁ Stapel ungelesener Bücher
₂ s.u. “Über die Schande”
₃ s.u. “Über den Hype
wegen massivem Spam und Botattacken ausstellen!)