Titel der Originalausgabe: Neverworld Wake
Übersetzung von: Claudia Feldmann
Verlag der dtsch. Ausgabe: Carlsen
Verlag des Originals: Delacorte Press
Inhaltsverzeichnis
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Handlung
Originalität
Spannungsbogen
Logik & Schlüssigkeit
Charaktere
Schreibstil
Fazit
Handlung
Eine atmosphärische, düstere Variante des altbekannten Zeitschlaufen-Romans:
Fünf Freund:innen verunglücken mit dem Auto, aber was für ein Glück: niemand scheint ernsthaft verletzt. Aber. Natürlich kommt da ein Aber. Hier grüßt nicht etwa das Murmeltier, sondern der Wächter, der ihnen am nächsten Tag eröffnet, sie seien bei dem Unfall gestorben und befänden sich jetzt solange in einer Zwischendimension, bis sie per Abstimmung entschieden haben, wer von ihnen eine Chance bekommen soll, ins Leben zurückzukehren.
»Wir waren Schiffbrüchige in einem tosenden Meer. Und sie zwangen mich, ihre Hände loszulassen, damit sie in den Wogen versinken und ertrinken konnten.«
Aber da somit ja vier der Freund:innen für ihren eigenen Tod stimmen müssten, ist das erstmal eine Pattsituation. Sie können sich frei bewegen und tun, was immer sie wollen, aber etwa alle elf Stunden werden sie zurückversetzt an Zeit und Ort des Unfalls, und immer sagt der Wächter bedauernd, es sei keine einstimmige Entscheidung erreicht worden.
Zehnmal. Hundertmal. Tausendmal?
Die Fünf reagieren sehr unterschiedlich auf die Ewigkeit, für die der Mensch einfach nicht gemacht ist. Der eine versucht, sich umzubringen, doch wacht nur wieder am Treffpunkt auf. Die andere betreibt Recherche. Wieder andere nutzen gnadenlos aus, dass nichts Konsequenzen hat. Und im Endeffekt beschließen alle zusammen, dass sie die Zeitschlaufe nutzen werden, um den Tod ihres Freundes James aufzuklären, der sich vor ein paar Jahren angeblich umbrachte.
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Originalität
Nein, Zeitschleife-Geschichten sind nun wirklich nichts Neues, aber meist werden sie humorvoll und/oder romantisch erzählt. Durch »Niemalswelt« schwebt indes ein Hauch von albtraumhafter Verzweiflung, der auf mich viel glaubhafter wirkt. Ja, im Grunde sind die Fünf nun solange unsterblich, bis eine Entscheidung getroffen wird, aber sie sind an dieses enge Zeitfenster gebunden, das sich immer und immer wieder wiederholt.
Mein erster Gedanke war: Ich könnte jeden Tag zur nächsten Bibliothek oder Buchhandlung gehen und dort alle Bücher lesen. Ich könnte zig Sprachen lernen. Ich könnte Malen. Ich könnte … Ich könnte … Ja. und dann? Irgendwann sind alle Bücher gelesen. Die Länder, wo diese Sprachen gesprochen werden, könnte ich nie besuchen. Die Bilder würden immer wieder und wieder verschwinden. Und die Schleife würde sich immer noch erbarmungslos wiederholen.
Marisha Pessl zeigt sehr überzeugend, was es mit der Psyche eines Menschen anstellen könnte, wenn sich nie etwas ändert und nichts Konsequenzen hat – und wie vermeintliche Freundschaften allzu leicht toxisch werden können, wenn es um die eigene Haut geht. Und das macht die Geschichte dann doch originell.
Spannungsbogen
Zwischendurch wird das Tempo durch die ständigen Wiederholungen des Zeitfensters mehrfach stark ausgebremst, doch das störte mich nicht, weil es im Rahmen der Geschichte Sinn macht. Das Leben dieser jungen Menschen steht nun mal still, so sehr sie auch dagegen wüten und daran verzweifeln mögen. Marisha Pessl erschafft gekonnt eine klaustrophobische Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann.
Spannend blieb es für mich durchweg – aber es ist eher eine psychologische Spannung als eine, die von Action oder Gewalt erzeugt wird. Nach und nach bekommt man ein besseres Bild von den verschiedenen Persönlichkeiten, ihren Geheimnissen, und natürlich von dem, was mit James passiert ist. Die Geschichte nimmt dann auch ein paar unerwartete Wendungen, die ich sehr gelungen fand, und die Charaktere werden immer einfallsreicher darin, die Bedingungen der Niemalswelt auszureizen.
Logik & Schlüssigkeit
Eine Geschichte wie diese ohne Brüche in der Glaubhaftigkeit zu erzählen, ohne Lücken und Logikfehler, ist sicher nicht einfach. In meinen Augen ist es Marisha Pessl hier jedoch gelungen.
Die Auflösung ist überraschend und macht im Rahmen dessen, was bisher über die Niemalswelt erfahren haben, Sinn. Jetzt kommen auch die letzten Geheimnisse ans Licht, die der ein oder die andere noch versteckt hielt, und da ist es schon ein Kunststück, dass alle Puzzleteile ins Bild passen.
Charaktere
Alle Charaktere, auch die liebe und kluge Protagonistin Bee, haben ihre Geheimnisse. Alle kämpfen mit ihren eigenen Dämonen: Erinnerungen und Gedanken, die sie Tag für Tag für Tag immer wieder in Endlosschleife durchleben müssen, und das ist im Grunde nichts Weniger als das Fegefeuer. Die Autorin beschreibt dies meines Erachtens glaubhaft und mit erstaunlicher Authentizität, was eine ungeheure Sogwirkung erzeugt.
Mochte ich alle Charaktere? Auf keinen Fall, aber das ist sicher durchaus gewollt.
Aber irgendwie fehlte mir dann doch etwas – vielleicht mehr emotionale Nahbarkeit, vielleicht mehr Tiefgang. Da wir die Geschichte immer nur durch Brees Augen sehen, bleiben die anderen Charaktere den Lesenden letztlich immer etwas fern.
Schreibstil
Der Schreibstil liest sich flüssig und unterhaltsam, und vor allem erzeugt er wortgewandt eine ungemein dichte, unheilvolle Atmosphäre, die zumindest mich mühelos gefesselt hielt.
Fazit
Marisha Pessl gibt der inzwischen altbekannten Zeitschleifen-Idee ihre ganz eigene sinistre Note, und das ist originell und gut geschrieben. Da die Charaktere die selben Stunden immer wieder und wieder durchlaufen, flacht zwar auch die Spannung zwischendurch ab, aber die Geschichte ist im Ganzen dennoch packend und gut konstruiert. Die Protagonist:innen sind nicht alle sympathisch, aber in sich schlüssig und überzeugend, wenn auch zum Teil etwas unnahbar. Nach einer Reihe unerwarteter Wendungen kommt ein Ende, das noch einmal alles auf den Kopf stellt.
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