Ein Rezensionsexemplar des Buches wurde mir vom Verlag für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt.
© Cover ‘Pauliina Susi Die Kollision’: dtv-Verlag
© Foto: A.M. Gottstein
Handlung
Die Schwestern Ripsa und Leia gehen auf Kreuzfahrt, obwohl Leia die Reise nur unter Protest antritt, da sie einen starken Widerwillen gegen den übertriebenen Luxus empfindet. In Zeiten, in denen zahllose Flüchtlinge ertrinken oder unter elenden Bedingungen auf winzigen Schlepperbooten gerade so mit dem Leben davonkommen, wirkt die schöne Scheinwelt des Schiffes auf sie geradezu obszön.
Tatsächlich stehen diese Scheinwelt und die harsche Realität im Begriff, auf übelste Art zu kollidieren, und schon vorher begreift Leia, dass viele der Menschen, die auf dem Schiff arbeiten, ausgenutzt werden wie moderne Sklaven. Sie wird mit der Frage konfrontiert , welche himmelschreiende Ungerechtigkeit von der Kreuzfahrtsgesellschaft zur Maximierung des Profits geduldet wird – und ob das vielleicht nur die Spitze des Eisbergs ist…
Eine Kreuzfahrt, die ist lustig?
Der interessanteste Aspekt des Buches ist für mich diese Verbindung aus Spannung und schonungsloser Gesellschaftskritik. Auch wer selber keine Kreuzfahrt antritt, keinen Champagner schlürft, keinen Luxusurlaub macht, fragt sich als Leser unbehaglich, was man als privilegierter Einwohner eines wohlhabenden Landes, das sich nicht im Kriegszustand befindet, gar nicht wahrnimmt – oder auch nicht wahrnehmen will.
Wie viele Menschen werden ausgebeutet, um unseren Lebensstil zu gewährleisten?
Jetzt klinge ich schon fast wie Leia, deren ausgeprägtes soziales Gewissen ich anfangs sehr bewundert habe. Ein Urlaub auf so einem schwimmendem Riesenhotel mit Dauerbespaßung wäre für mich auch schon ohne moralische Skrupel ein Albtraum – aber ich konnte Leias’ Bedenken und ihre Gründe, die Kreuzfahrt rigoros abzulehnen, voll und ganz nachvollziehen.
Aber Leias’ Empörung kam mir zunehmend hohl vor. Wenn sich ihre Prinzipien und die Realität beißen, macht sie mehr als einmal einen Rückzieher; sie predigt anderen, lässt dann aber meist keine Taten folgen. Zwischendurch schaltet sie hin und her zwischen der ängstlichen Leia und der kämpferischen Leia, was für mein Empfinden aber nicht schlüssig begründet wird.
Auch bei anderen Charakteren fehlt es mir etwas an Tiefe – und vor allem an nachvollziehbarer Entwicklung.
Wirklich identifizieren konnte ich mich mit den meisten nicht. Am Ende schien mir besonders Leia sogar eher einen großen Schritt rückwärts zu machen.
Am interessantesten und authentischsten fand ich das Flüchtlingsmädchen Amira, aus deren Perspektive der Leser mitverfolgt, wie grausam und menschenverachtend Schlepper ihre menschliche Ware ohne Rücksicht auf Verluste behandeln.
In den Szenen auf dem Flüchtlingsboot konnte mich das Buch immer wieder packen und bewegen.
Der Gegenpol zu Amira ist die Finnin Marina, mit der sich Leia auf dem Kreuzfahrtschiff anfreundet, obwohl ihre Schwester Ripsa von Anfang an ein ungutes Gefühl dabei hat. Hier hat die Autorin ein paar unerwartete Wendungen zu bieten, die die Spannung steigern, aber letztendlich fand ich Marina als Charakter zu überzogen und daher unglaubwürdig.
Das Tempo der Geschichte steigert sich rasant – für die Flüchtlinge steht immer mehr auf dem Spiel.
Dazu kommt, dass mehrere der wichtigen Charaktere ein doppeltes Spiel spielen oder wenigstens wichtige Informationen zurückhalten, was die Spannung noch steigert. Insoweit kann das Buch als Thriller durchaus unterhalten.
Leider kam mir das Ende schwach und eher halbherzig vor, als müssen noch schnell alle lose Enden verknüpft und alle Rätsel gelöst werden – was zum Teil sehr erzwungen wirkt und der Charakterisierung mancher Figuren widerspricht. Auch vorher fühlte ich mich in den Szenen, die auf dem Kreuzfahrtschiff spielen, leider immer weniger überzeugt.
Den Schreibstil fand ich indes sehr originell und ansprechend.
Pauliina Susi spielt immer mal wieder sowohl mit der Sprache an sich – mit Metaphern und Klang, mit Takt und Tempo – als auch mit den Erwartungen des Lesers. In kurzen Passagen spricht sie ihn direkt an und reißt ihn damit bewusst aus dem Fluss der Geschichte.
“Stell dir ein extrem luxuriöses Kreuzfahrtschiff vor.
Zitat
Das reicht noch nicht. Doppelt so viel Luxus.
Und jetzt die zerstörerischste Bombe, die du dir denken kannst.
Stell dir den Sprengstoff vor, die Zündschnur, den Funken. Stell dir vor, was sie anrichtet.
Stell dir noch etwas vor: die Hand, die den Funken auslöst. Die den Knopf drückt oder den Abzug. Die die Maus bewegt. Ka-wumm!
Schau auf die Hand. Es ist deine.
Ach, du willst gar nicht mehr spielen? Warum glaubst du denn, das hier sei ein Spiel?”
Fazit
Das Buch lässt mich mit sehr gemischten Gefühlen zurück.
Die Grundidee – zwei Welten kollidieren, in Form eines Luxuskreuzfahrtschiffs und eines Flüchtlingsboots – finde ich immer noch sehr interessant, und mir gefiel die Mischung aus Spannung und Gesellschaftskritik sehr. Aber im Verlaufe des Buches schwächelt die Umsetzung meines Erachtens immer mehr, und das Ende erscheint mir konstruiert und eher schwach.
Trotz seiner Schwächen ist das Buch aber immer noch unterhaltsam.
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Titel | Die Kollision |
Originaltitel | Seireeni |
Autor(in) | Pauliina Susi |
Übersetzer(in) | Tanja Küddelsmann |
Verlag* | dtv |
ISBN* | 9783423262231 |
Seitenzahl* | 544 |
Erschienen am* | 24. Mai 2019 |
Genre | Thriller |
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches |
Das Buch auf der Seite des Verlags
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