#Rezension Gerold & Hänel: Rauhnächte – Sie werden dich jagen

Buchcover Rauhnächte, Schädel eines Ziegenbocks im Schnee

Verlag: S. Fischer

Handlung

Junge Frauen verschwinden. In diesen magischen Nächten zwischen den Jahren. Nach zwölf Tagen kehren sie zurück, verwirrt und verstört. Zwei von ihnen haben es nicht mehr ausgehalten, sie gingen freiwillig in den Tod. Andere sind aus dem Tal weggezogen und nie wieder zurückgekehrt. Die wenigen, die geblieben sind, schweigen. Als Lisa an Weihnachten zu ihren Großeltern ins Tal fährt, ist wieder ein Mädchen verschwunden. Warum spricht niemand darüber?

(Klappentext)

Ein Dorf schaut weg

Originalität & Grundidee

Heruntergebrochen auf das Wesentliche geht es in »Rauhnächte« immer wieder um die Abgründe einer vermeintlichen Idylle, um den schmalen Grat zwischen Zivilisation und enthemmter Selbstsucht. Hinter der archaischen Dorffolklore lauert Jahr für Jahr die Gewalt, befeuert von Trieb und Tradition – und alle wissen es, und alle schauen weg.

An sich wäre das eine großartige Basis für einen Thriller, der sowohl mit düsterer Spannung als auch mit gesellschaftskritischem Tiefgang aufwartet. Doch leider greift die Umsetzung meines Erachtens zu kurz und nutzt dieses Potential nicht aus.

Die Charaktere

Die meisten Charaktere werden recht eindimensional geschildert, oft wirken sie überspitzt bis hin zum Klischee. Die stumpf verstockten Dorfbewohner. Der vollkommen unfähige Polizist. Die unschuldige Protagonistin. Der Kriminalpolizist aus der großen Stadt als Deus ex Machina. Diese plakative Darstellung passt zwar zum mythischen Grundton der Geschichte (im Märchen sind Charaktereigenschaften immer absolut), verhindert aber angedachten psychologischen Tiefgang und authentische Entwicklung.

Protagonistin Lisa hat gute Ansätze, eigentlich könnte sie durchaus eine gelungene Identifikationsfigur sein. Ihr Verhalten ist jedoch nicht immer stimmig und überstrapaziert manchmal die Glaubwürdigkeit. In einem Moment denkt sie noch darüber nach, dass sie in ihrem Heimatdorf keinem Mann trauen kann, im nächsten befällt sie ein Anflug von plötzlicher Schockverliebheit. Ganz klar, das soll für sie den emotionalen Einsatz erhöhen – jetzt hängt für sie noch mehr davon ab, ob und wie die Geschehnisse aufgeklärt werden. Aber leider funktionierte das für mich nicht, weil es zu offensichtlich als Plotdevice zu erkennen war …

Spannungsbogen

In meinen Augen ist die Handlung zu vorhersehbar. Auf den ersten Seiten wird anhand beschriebener Träume schon deutlich, was in den Rauhnächten wirklich geschieht, und als Leser:in kannst du dir denken, wo die Reise in etwa hingehen wird. Daher fand ich die Geschichte nicht sonderlich spannend, denn sie folgt genau den erwartbaren Bahnen. Diverse Enthüllungen kündigen sich zu früh an, um noch überraschend zu sein, da mangelt es dem Verlauf meiner Meinung nach an der nötigen Subtilität.

Logik, Schlüssigkeit & Glaubhaftigkeit

Kriminalpolizist Max ist eigentlich gar nicht wegen der verschwundenen Mädchen ins Dorf gekommen. Ein Mann wurde tot aufgefunden, das Herz durchbohrt vom Horn einer Perchtenmaske, und das wurde vom Dorfpolizisten abgetan als Unfall. Die Maske hat er nebenbei auch noch irgendwie verloren, an Ermittlungen war gar nicht zu denken. Anscheinend der gängige Modus Operandi, niemanden scheint es groß zu stören.

In dieser Situation ernennt Max kurzerhand Lisa – mit der er mal was hatte –, zu einer Art Hilfspolizistin. Warum? Weil sie sich als Etymologin viel mit dem Mythos der Rauhnächte beschäftigt hat und er darüber hinaus hofft, dass sie ihm als ehemals Ortansässige einen Zugang zu den verschlossenen Herzen der Dorfbewohner eröffnen kann. Da Lisa im Dorf alles andere als beliebt ist, weil sie vor vielen Jahren fortgegangen ist, um in der Großstadt zu leben, ist das eigentlich eher kontraproduktiv. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Kriminaler eine Zivilistin derart in die Ermittlungen einbindet, auch wenn er mal mit ihr im Bett war?

Aber das ist auch nur der Aufhänger, damit Lisa ihm von den verschwundenen Frauen erzählen kann. Max lässt sich schnell überzeugen, dass dahinter ein langjähriges Verbrechen stecken muss, und lässt Lisa ganz selbstverständlich mitermitteln. An diesem Punkt des Buches steht die Handlung schon auf sehr wackligen Beinen, und es wird meines Empfindens nicht besser. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sich die Geschehnisse logisch entwickeln – auf mich wirkte vieles zu bemüht konstruiert.

Der Schreibstil


Der Schreibstil liest sich flüssig und angenehm, was dazu führte, dass ich den Thriller trotz der genannten Kritikpunkte doch noch halbwegs unterhaltsam fand – wenn auch mit Abstrichen.

Das Hörbuch

Ich habe zum einen das E-Book gelesen und zum anderen bei der Hausarbeit das Hörbuch gehört. Sprecherin Charlotte Puder hat eine sehr angenehme Stimme, was viel dazu beitrug, dass ich das Hörbuch unterhaltsamer fand als das E-Book. Dennoch würde ich es nicht unbedingt weiterempfehlen, weil es natürlich nichts am Inhalt ändert.

Fazit

Deutliche Kritikpunkte

Seit Jahren verschwinden in Oberalmdorf junge Frauen. Immer in den ‘Rauhnächten’ zwischen dem 25. Dezember und dem 6 Januar, in denen die jungen Männer gemäß dem alten Brauchtum mit furchterregenden Holzmasken durchs Dorf ziehen. Eigentlich ist das ein harmloser Spaß, auch wenn der ein oder andere mal über die Stränge schlägt. Man schweigt darüber, wenn es zu weit geht, die Frauen kehren schließlich immer wieder zurück. Obwohl sie danach nie mehr dieselben sind.

Die junge Etymologin Lisa lebt schon länger in der Großstadt, kehrt dieses Jahr aber zurück, um ihre Großelter zu besuchen – und lange überfällige Wahrheiten einzufordern. Als ein weiteres Mädchen verschwindet, wird Lisa jedoch in die Ermittlungen verwickelt.

Die Grundidee ist hochinteressant, ungemein vielversprechend. Aber in meinen Augen bleiben die Charaktere blass, der Handlungsverlauf ist zumindest in groben Zügen vorhersehbar und wirkte auf mich überkonstruiert, nicht alles erscheint logisch und plausibel. Der Schreibstil kann manches retten, im Endeffekt ist »Rauhnächte« für mich indes dennoch eine Enttäuschung.

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