© Cover: Frankfurter Verlagsanstalt © Foto: A.M. Gottstein
Jetzt, wo die Verleihung des Deutschen Buchpreises 2018 mit der Verkündung der Longlist in die erste Runde gegangen ist, möchte ich meine Rezensionen zu einigen der letztes Jahr nominierten Bücher noch einmal hervorheben. Diese Rezensionen sind 2017 auf meinem früheren Blog auf Blogspot erschienen.
Die AUtorin und literarische Preise
Julia Wolf, 1980 in Groß-Gerau geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Für ihren Debütroman ‘Alles ist jetzt’ (FVA 2015) erhielt sie den Kunstpreis Literatur 2015 der Brandenburg Lotto GmbH. Beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2016 las sie einen Auszug aus ihrem Roman ‘Walter Nowak bleibt liegen’, für den sie mit dem renommierten 3sat-Preis ausgezeichnet wurde. 2017 erhielt sie den Debütpreis des Nicolas-Born-Preises und wurde mit ihrem Roman ‘Walter Nowak bleibt liegen’ für den Deutschen Buchpreis nominiert.
(Quelle: Frankfurter Verlagsanstalt und Wikipedia)
Handlung
Klappentext:
“Jeden Tag schwimmt Walter Nowak seine Bahnen im Freibad. Eines Morgens bringt eine Begegnung ihn aus der Fassung, mit fatalen Folgen: Der Länge nach ausgestreckt findet er sich wenig später auf dem Boden seines Badezimmers wieder, bewegungsunfähig und auf sich allein gestellt. »Von nun an geht es abwärts, immer abwärts«, schießt es ihm durch den Kopf. Zunehmend verliert er die Kontrolle, Gedankenfetzen, Bilder aus der Vergangenheit stürzen auf ihn ein: das Weihnachtsfest mit seiner ersten Frau Gisela, ihr Schweinebraten, ihre Tränen; der Blick seines Sohnes Felix, als er von der Trennung erfährt; Erinnerungen an seine eigene Kindheit als unehelicher Sohn eines GIs; und, vor kurzem, eine Diagnose seiner Ärztin. Während nach und nach alles vor seinen Augen verschwimmt, ziehen seine Gedanken immer engere Kreise, nähern sich einem verborgenen Zentrum, dem Anfang, dem Ende … Als das Hitzegewitter endlich losbricht, steht plötzlich sein Sohn Felix vor der Tür. “
Das würde ja heißen. Was würde das heißen?
Meine Meinung
Walter Nowak ist einer, der es durch harte Arbeit weit gebracht hat im Leben. Ein eigenes Hochbauunternehmen, das ist doch was, da kann man stolz drauf sein. Zwar ist er inzwischen in Rente, aber er kann sich immer noch einen angenehmen Lebensstil leisten. Zuhause hat er eine schöne Frau, deutlich jünger als er – die hat die Mutter seines Sohnes als erste Ehefrau ersetzt, aber was soll man machen? Was soll man da machen, wenn eine Frau wie für einen geschnitzt ist?
Walter ist nach wie vor ein echtes Alphatier.
Einer, der sich nicht gehenlässt, wo käme man denn da hin? Jeden Morgen schwimmt er seine Bahnen – komme, was wolle! – und ist stolz darauf, dass er körperlich noch was hermacht: kein Tattergreis, sondern ein gestandener Kerl, den die Frauen begehrlich anschauen.
Oder zumindest ist das, wie er seine Welt wahrnimmt.
Man lernt viel über die Schattenseiten des Walter Nowak. Jedoch nicht etwa, weil er sein Verhalten kritisch hinterfragen würde – ganz im Gegenteil. Vielleicht ist gerade das seine größte Sünde: nicht sein notorischer Ehebruch, nicht seine Herabwürdigung der Frauen auf ihre körperlichen Reize, ja, nicht einmal seine Vernachlässigung des eigenen Sohnes. Sondern die Tatsache, dass er all dies entweder vor sich rechtfertigt oder sich dessen gar nicht bewusst ist. Es ist die junge Haushaltshilfe, die ihm schöne Augen gemacht hat, da kann er doch nichts für, das wird er seiner Frau sagen, die wird das schon verstehen. Und sein Sohn entspricht eben nicht dem, was er sich gewünscht – nein, was er gefordert hat: im Grunde eine jüngere Ausgabe von sich selbst.
Walter Nowak bleibt liegen, vielleicht blutend, vielleicht sterbend, und stürzt doch haltlos durch sein Leben.
Seine Gedanken springen von einem Thema zum nächsten, manchmal gänzlich ohne ersichtlichen Zusammenhang, und dennoch kehren sie immer wieder zurück zu den gleichen Menschen und den gleichen Motiven. Wie ein Blick durchs Kaleidoskop: bunte Erinnerungssplitter, die sich zusammensetzen zu einem unvollständigen, vielleicht sogar verfälschten Bild, denn Walter ist sich selbst nicht mehr sicher, was Wahrheit ist und was Wahn. Hatte er wirklich einen Unfall im Schwimmbad? Ist das Blut in seinem Gesicht oder doch nur Saft? Ihm gehen Minuten verloren, Stunden verloren.
Der Schreibstil gibt Walters Verwirrung, sein Aufbäumen gegen die eigene Hilflosigkeit perfekt wieder.
Dazu kommt, was? Eine gewisse Demenz, eine Gehirnerschütterung? Schlimmeres? Im Bewusstseinsstrom brechen Gedanken mitten im Satz ab, nur um später unvermittelt wieder aufgegriffen zu werden. Zeiten, Orte, Personen, alles kann sich plötzlich ändern. Nicht immer einfach zu lesen, dafür aber so immersiv, dass es schmerzt.
“Also abstoßen, also los jetzt, keine Müdigkeit, schon gleite ich durchs Wasser, vorschützen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie ich durchs Wasser gleite, und alles ist blau und kühl, das Sonnenlicht glitzert nur so, herrlich. Ich schließe die Augen, und. Wie die mich angeguckt hat. Wenn Yvonne gesehen hätte, wie die Olga mich, die wäre weg vom Fenster, die hätte die längste Zeit, zwölf Euro die Stunde, cash auf die Kralle, bar auf die Hand. “
(Zitat)
Julia Wolf verwendet zahlreiche Bilder für Walters Scheitern.
So geht er jeden Tag schwimmen, um sein Selbstbild als toller Hecht zu stärken, zieht sich jedoch mittels Ohrstöpseln und hermetisch dichter Badekappe zumindest akkustisch aus der Wirklichkeit zurück. Sie lässt ihn in angeekelte Panik verfallen, als ihm unter Wasser ein Frauenhaar ins Gesicht geschwemmt wird – überhaupt scheint er sich von Frauen nicht nur angezogen, sondern vage bedroht zu fühlen. Da könnte man ihn ja, also, man könnte ihn als Lustmolch abstempeln. Dabei hat er doch nur… Seine Frau wird das verstehen. Oder nicht? Er hinterfragt nicht, ob an der befürchteten Anschuldigung etwas Wahres sein könnte.
Die Erzählung entbehrt nicht einer gewissen Komik.
Dennoch: so unsympathisch Walter manchmal wirkt, so tragisch ist seine Geschichte auch. Vaterlose Kindheit. Erinnerungen an Schläge. Halb bewusste, nie erfüllte Sehnsüchte. Wo hat das Leben ihn hingeführt, diesen überlebensgroßen Frauenheld und Erfolgsmenschen? Zweisame Einsamkeit, ein gescheitertes Verhältnis zum eigenen Sohn.
Obwohl die Autorin niemals rührselig wird, kann einen Walter doch rühren, trotz all seiner Fehler. Man spürt, da ist etwas, eine sensible Seite, ein liebevolles Wesen. Wäre sein Leben anders verlaufen, dann. Vielleicht?
Fazit
“Walter Nowak bleibt liegen” ist ein unbequemes, sperriges Buch, dessen Protagonist es dem Leser nicht leicht macht. Man muss sich gnadenlos mitreißen lassen von Walters Bewusstseinsstrom, aber dieses Stilmittel wird von Julia Wolf virtuos eingesetzt. Von außen betrachtet passiert nicht viel: ein alter Mann hat einen Badeunfall, liegt bewegungsunfähig auf dem Boden und denkt über sein Leben nach. Was die Erzählung dennoch bewegend, spannend, lustig oder traurig macht, spielt sich nur in Walters Kopf ab.
Man lernt ihn gut kennen, diesen alten Schwerenöter, Ehebrecher, miserablen Vater. Mit Überraschung stellte ich auf der letzten Seite fest, dass ich ihn ins Herz geschlossen hatte – eine Meisterleistung der Autorin. Im Grunde ist Walter ein zutiefst verwundeter Mensch, der seinem eigenen Glück immer im Weg gestanden hat, und ich konnte mich der Menschlichkeit dieses Charakters nicht entziehen.
Für mich einer der originellsten Romane der letzten Jahre, aber sicher nicht jedermanns Sache.
REZENSIONEN ZU DIESEM BUCH BEI ANDEREN BLOGS
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Titel | Walter Nowak bleibt liegen |
Originaltitel | — |
Autor(in) | Julia Wolf |
Übersetzer(in) | — |
Verlag* | Frankfurter Verlagsanstalt |
ISBN* | 3627002334 9783627002336 |
Seitenzahl* | 157 |
Erschienen im* | März 2017 |
Genre | Gegenwartsliteratur |
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches |
Das Buch auf der Seite des Verlags
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