#Rezension Nadine Schneider: Drei Kilometer

Nadine Schneider: Drei Kilometer

Ein Rezensionsexemplar des Buches wurde mir vom Verlag für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt.

Der Roman wurde für “Das Debüt” 2019 nominiert und steht zum Zeitpunkt dieser Rezension auf der Shortlist. Ich las ihn als Mitglied der Bloggerjury, meine Gesamtbewertung folgt am 5. Januar 2020.

© Cover ‘Drei Kilometer’: Jung und Jung
© Bild Smartphone: Pixabay

Handlung

Es sind nur drei Kilometer bis zur Grenze und doch eine Weltreise – ja, eine Reise in eine ganz andere Welt. Eine bessere? Hoffentlich, sicherlich, denn schlechter kann es gar nicht werden.

Wir schreiben das Jahr 1989 und die Menschen in Rumänien leiden bitterlich unter dem Diktator Ceaușescu. Die Wirtschaft ist am Ende, Hunger und Kälte sind stete Begleiter, Freiheit ist etwas, das anderswo passiert. Jenseits der Grenze eben.

Viele denken an Flucht, so auch Anna, Misch und Hans. In ihrem kleinen Dorf gibt es keine Perspektive, für niemanden. Wären da nur nicht die Familien, die man zurücklassen müsste. Wäre da nicht die Angst, dass man auf der Flucht erschossen wird. Oder schlimmer noch: gefangen, gefoltert und zurückgeschmissen ins Eismeer.

Aber… Es sind nur drei Kilometer, und sie sind jung genug für Hoffnung.

Wenn ich zurückdenke an das Jahr 1989, denke ich: DDR. Honecker. Mauerfall. Ich denke nicht: Ceaușescu, Rumänien. Ich war 13 Jahre alt, ich lebte in Westdeutschland, Rumänien war mir unendlich fern.

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, schon mal einen Roman gelesen zu haben, der diese Ära in den Mittelpunkt stellt. Und genau das machte diesen Roman für mich zu einer interessanten, ja, einer Pflichtlektüre.

Die Autorin zeichnet das Bild dieser Zeit ungemein eindringlich.

Ohne falsches Pathos lässt sie den Leser teilhaben an den Ängsten, Hoffnungen und Wünschen ihrer Protagonisten. Sie zupft sachte an den Saiten, da schwingt vieles mit, ohne erklärt werden zu müssen. Die Liebe zur Heimat, ihrer Landschaft und ihren Menschen, ist die Grundmelodie – Angst und Verzweiflung sind leise Dissonanzen, mühsam erstickt, die dennoch nicht zu überhören sind.

Es ist die Zerrissenheit, die besonders deutlich herausklingt.

Die Menschen wollen nicht viel. Das ist keine Frage von ‘Zusammenreißen’ oder ‘Sich-nicht-so-anstellen’. Da kommen Grundbedürfnisse zusammen, die sich nicht vereinbaren lassen.

Man kann die Protagonisten gut verstehen – oder zumindest erahnen, was sie antreibt.

Im Zentrum steht Anna, die sich in vielerlei Hinsicht zerrissen fühlt. Wollen und Können, Müssen und Sollen, das zerrt an ihr und sie klammert sich an das letzte bisschen Sicherheit.

Sie will ihr Dorf eigentlich nicht verlassen, aber sie erträgt es nicht mehr. Sie liebt Hans, aber sie liebt auch den gemeinsamen besten Freund Misch. Das ist jedoch keine platte Dreiecksgeschichte – eigentlich spiegelt es nur auf einer emotionalen Ebene Annas grundsätzlichen Konflikt wieder. Hans steht für Heimat und Beständigkeit. Misch steht für Veränderung und Mut.

Und wie das so ist, in diesem Buch und in dieser Ära, kann Anna nicht beides haben.

Die Sprache ist leise, atmet Atmosphäre.

Das Buch lebt mehr von den Zwischentönen und den Spannungsgefällen als von der Handlung an sich – die ist gar nicht so wichtig, es ist das Gesamtbild, das besticht. Dennoch wird nichts geschönt, man spürt die Dramen dieses Jahres in den Knochen.

Die Autorin findet starke Metaphern und Vergleiche, die die Sätze dennoch nicht überfrachten, und vor allem lässt sie dem Leser genug Raum für eigene Interpretationen. Das ist Mut zur Lücke: die Geschichte ist keine erschöpfende Abhandlung der Zeit, lässt aber ein lebendiges Bild entstehen.

Und das reicht, das lässt nichts vermissen.

Fazit

Buchliebling

Im Rumänien des Jahres 1989 befindet sich das Land immer noch im Würgegriff des Diktators Ceaușescu. Den Menschen geht es schlecht, in vielerlei Hinsicht, der Leidensdruck ist enorm. In einem Dorf unweit der rumänisch-serbischen Grenze fragen sich drei junge Menschen, ob sie es wagen sollen, ihr Heil in der Flucht zu versuchen. Nur drei Kilometer quer durchs Maisfeld trennen sie von der Freiheit – aber die Flucht könnte sie das Leben kosten, und im Erfolgsfall müssten sie Heimat und Familie hinter sich lassen.

Nadine Schneider erzählt eine Geschichte der leisen Töne und dennoch eine starke Geschichte, die auf nur 160 Seiten ganz viel Widerhall erzeugt. Meines Erachtens hat dieses Buch seine Nominierung für den Preis “Das Debüt” mehr als verdient.

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TitelDrei Kilometer
Originaltitel
Autor(in)Nadine Schneider
Übersetzer(in)
Verlag*Jung und Jung
ISBN / ASIN9783990272367 (Hardcover)
9783990271728 (eBook)
Seitenzahl*160
Erschienen im*September 2019
GenreGegenwartsliteratur
* bezieht sich auf die abgebildete Ausgabe des Buches
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